Was es wiegt… #82: Dissidenz statt Resistance

(Beiträge und Fragen zu einer nächsten Kulturpolitik)

Ich solle es „multiperspektivisch“ betrachten, war ich in einem ausführlichen Gespräch vor der Weizer Konferenz ermahnt worden. Darüber habe ich nachgedacht, bevor ich anderntags aufbrach. Die Panel-Doku, wie sie auf Youtube dokumentiert ist, belegt das Multiperspektivische allerdings nicht so recht.

Ein ergebnisoffener Auftakt? Eher nicht!

Das auffallend Monoperspektivische unserer Runde war vielleicht eine Folge der massiv vorgetragenen Erwartungen. Die kaum mehr als zwei Stunden Arbeitszeit sollten ein klares Ergebnis in konkreten Forderungen ergeben. Nach meiner Einschätzung ist das nicht machbar, wenn man die kontrastreiche Runde mit ihrer Vielfalt an dort vertretenen Feldern beachtet.

Hätte diese Auftaktrunde nicht ergebnisoffen losziehen müssen? Meine explizite Frage, an wen die Forderungen eigentlich adressiert sein sollen, mußte sich selbst beantworten. Der Klassiker: an die Kommunen und das Land.

Okay, dafür hätte ich diese Konferenz nicht so dringend gebraucht, denn das ist in der „Szene“ seit mindestens 40 Jahren Common Sense: Kommunen und Land sollen mehr Ressourcen bereitstellen. (Zugegeben, für mich war zu viel Verwertungslogik in dieser Session. Ich begriff erst nach eine Weile, woher das kam.)

Das Banale
Es ist im Kulturbetrieb geradezu banal, daß zu einer gewichtigen Themenstellung am Tisch auch unvereinbare Positionen auftauchen. Es ist unausweichlich. Eigentlich eine Conditio sine qua non. Was wäre das für ein kulturelles Klima, in dem der Konsens regiert und der Dissens in Handschellen abgeführt wird? (Gut, auch dafür gibt es Beispiele. Aber in Österreich?)

Eigentlich müßte allein aus Gründen intellektueller Selbstachtung der Slogan „Wir sitzen alle im gleichen Boot, laßt uns an einem Strang ziehen!“ prinzipiell ausgeschlossen sein. Ich hab aus den frühen Jahren der steirischen Integrationsbewegung, wo es um das Zusammenleben von behinderten und nichtbehinderten Menschen ging, eine sehr klare und kontrastreiche Vorstellung, was der Begriff Inklusion meinen könnte.

Das Wort Diversität kam bei unseren Diskursen erst weit später in allgemeinen Gebrauch. („Multiperspektivisch“ scheint mir eher neu, gefällt mir.) Dazwischen boomte der Begriff Solidarität und erlebt gerade ein Revival. Ich staune aber, daß man mir immer noch keine konkreten Belege nennt, wenn ich sage: „Seit über 40 Jahren im Betrieb kenne ich nur lokal und temporär begrenzte Beispiele gelebter Solidarität. Als Grundeigenschaft unserer Initiativenszene ist mir das unbekannt.“ Ich höre dann jedesmal Einwände, aber man nennt mir keine Beispiele. (Ich warte immer noch!)

Die Weizer Session
Ich bin auf dem Weg zum Weizer Panel (am 10. Mai 2022) einige Male streng ermahnt worden, meine Ansichten zu überprüfen und diesen wichtigen Prozeß nicht durch unangemessenes Verhalten zu belasten. Nun liegt die Weizer Session hinter mir.

Tisch 3 mit seiner nicht deklarierten Hausmacht

Ich bin a) mit dem Arbeitsverlauf in meiner Gruppe und b) mit dem Fazit, wie es auf Youtube dokumentiert ist, überhaupt nicht einverstanden. (Auch mit ein paar anderen Vorträgen kann ich mich nicht anfreunden.) Allerdings habe ich zu akzeptieren, daß meine Auffassung eine Minoritäten-Position ergibt. Ich nehme das zur Kenntnis und akzeptiere, daß eine nennenswerte Mehrheit die Sache offenbar anders sieht.

Aber was kann ich daraus ableiten und wie darauf reagieren? Es hat mir schon in den späten 1980er Jahren mißfallen, wenn ich in der regionalen Wissens- und Kulturarbeit immer wieder hörte, unsere Arbeit sei „widerständig“. Mir mißfällt diese Pose bis heute und ich kann nicht feststellen, daß sich unser Milieu je in irgendeiner Art Widerstand besonders hervorgetan, bewährt hätte. (Es wäre überdies zu fragen: Widerstand genau wogegen?)

Dazu kommt, daß ich als Kind des Kalten Krieges und einer ungewöhnlich satten Phase des breiten Wohlstands das Motiv einer Resistance unangetastet lassen muß. Es ist für mich mindestens vom spanischen Bürgerkrieg bis zum 8. Mai 1945 mit einem Gewicht belegt, das ich nicht zu schultern vermag.

Jenseits der Attitüde
Außerdem halte ich dieses Widerstands-Ding in unseren Breiten für 19. wie 20. Jahrhundert, also für eine antiquierte Pose. Eine kulturpolitische Resistance? Diese Attitüde käme für mich keinesfalls in Frage. Ich hatte dann eine sehr unruhige Nacht, um dieses Problem zu lösen. Ich will mich keinesfalls gegen etwas, sondern für etwas aufstellen.

Mein Fazit lautet: Dissidenz, nicht Resistance. Ich sitze nebenan, wie schon des Wort andeutet. Neben der Spur. Neben dieser Spur einer kulturpolitischen Entwicklung, der momentan offenbar eine qualifizierte Mehrheit zustimmt. Ich kann vielem in diesem Prozeß nicht zustimmen, fände es aber lächerlich und sachlich sinnlos, mich dagegenzuwerfen. Daher also: Dissidenz. Eine abweichende Meinung und Position.

Details
+) Doku: Regionalkonferenz Oststeiermark im Kunsthaus Weiz
+) Was meint das Wort Initiativenszene? Siehe: Fragen zur Szene I & II
+) Die Solidaritätsfrage

— [Das Weizer Panel] —
— [The Long Distance Howl] —

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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