Ich hab die vorige Glosse jenem Sonntag gewidmet, an dem eine Protestbewegung, die sich in Gleisdorf jede Woche zweimal zeigt, ihre aktuellen Forderungen klargemacht hat. Die „Neigungsgruppe Spazierengehn“ fordert, daß die Gleisdorfer Stadtregierung, die steirische Landesregierung und die Regierung Österreichs zurücktreten solle.
Was sich die „Neigungsgruppe Spazierengehn“ dafür an guten Gründen aus dem Ärmel zieht, ist – soweit wir wissen – weder in der Bevölkerung mehrheitstauglich, noch von wissenschaftlichen Diskurse hinreichend abgedeckt. Es sind Nischen-Meinungen. Die kann man ja haben und lieben, aber sie legitimieren keinen Regierungssturz. Das ist übrigens einer der Gründe, weshalb diese Leute der Wissenschaft generell, überdies der Politik ganz allgemein, jegliche Kompetenzen absprechen. Sie wollen sich offenbar mit Andersdenkenden nicht belasten.
Mir wäre etwas leichter, würden sie langsam selbst einschlägige Kompetenzen belegen. Tun sie aber nicht. Ich erhalte bloß Parolen, Kolportage, Zitate und Memes aus Quellen, die mir kaum bewährt erscheinen. Da ist eben das meiste auch so aus dem Ärmel gezogen. Viel Gefühltes, viel Emotion. Überprüfbare Fakten und Belege?
Bleibt zu fragen: kämen dann aus diesen Reihen jene Kräfte, die das allenfalls zurückgetretene politische Personal ersetzen möchten? (In Gleisdorf, in Graz in Wien.) Also Leute, die bisher bloß ein Lärmen auf unseren Straßen zuwege gebracht haben, aber keine einzige solide Verhandlung mit etablierten politischen Kräften nachweisen können. Die wollen uns regieren? Wen „uns“? Das Staatsvolk Österreichs. Lieber nicht!
Es wäre ja interessant, würden sich diese Leute eventuell als Bürgerinitiative formieren, ihre Grundlagen und Forderungen bekannt machen und dann in der Region mit der politischen Arbeit beginnen. Arbeit? Arbeit! Also: Informationen sammeln, daraus Wissen ableiten, solches Wissen in geeigneten Veranstaltungsschritten und Publikationen anbieten, um herauszufinden, wer sich damit erreichen und davon ansprechen läßt. Menschen gewinnen und sich um politisch relevante Mehrheiten bemühen. So geht politische Arbeit.
Das verlangt andere Kompetenzen, als mit den Mitteln moderner Tontechnik beliebige Menschen auf der Straße anzubrüllen. Es kann diesen Leuten ja nicht erlaubt werden, taugliche politische Modi zu verwerfen, die Verfahren abzukürzen und per Druck auf der Straße neue Regierungen in die Ämter zu trommeln.
Das haben unsere Leute schon erprobt. In den 1930er Jahren. Auf der Straße lärmte die SA, trieb Andersdenkende vor sich her. In den Ämtern übernahm schließlich die NSDAP. Was dieser Modus taugt, wissen wir schon. Da ist kein Revival nötig. Aber! Zur Erinnerung:
„Demokratische Regierung gründet sich auf den Volkswillen, der seinen Ausdruck in regelmäßigen, freien und gerechten Wahlen findet. Demokratie beruht auf Achtung vor der menschlichen Person und Rechtsstaatlichkeit. Demokratie ist der beste Schutz für freie Meinungsäußerung, Toleranz gegenüber allen gesellschaftlichen Gruppen und Chancengleichheit für alle.“ (Charta von Paris für ein neues Europa, Paris, 19. – 21. November 1990)
Diese Charta ist das Schlußdokument der KSZE-Sondergipfelkonferenz von 32 europäischen Ländern, auch die USA und Kanada waren beteiligt. (KSZE ist das Kürzel für „Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“.)
Da fehlt mir vorerst von der Gleisdorfer „Neigungsgruppe Spazierengehn“ auch der mindeste Beleg, daß man in diesen Reihe gerüstet sei, eine Demokratie auf der Höhe der Zeit auch nur ansatzweise zu gewährleisten. Aber vielleicht kommen solche Belege ja noch.