Es ist schlüssig, daß Putin sogar in Gleisdorf demonstrativ geschätzt wird, weil er mit seiner Gang für ein rechtsradikales bis neofaschistisches Weltbild steht, das auch in Österreich gefeiert wird; neuerdings geschmeidig mit anderen Protestpositionen vermischt. In Summe eine smart angelegte Attacke auf die Fundamente unserer Republik. Eine Entwicklung, auf die etwa unsere Mandatare ebenso öffentlich antworten sollten, wie dieser kontinuierliche Rechtsruck öffentlich promotet wird.
Verdun, Auschwitz, Srebrenica, Mariupol
Bis vor ein paar Monaten bin ich bei diesem Thema mit drei markanten Ortsnamen ausgekommen. Nun also einer mehr und das Ringen um Klarheiten, wie sich die russische Armee stoppen ließe, wenn nicht durch Waffengewalt. Natürlich gibt es eine praktikable Antwort. Aber! Wollen wir diesen Preis bezahlen? (Und schon sind sie leiser, die Nebenerwerbsmilitärexperten.)
Würden wir im gesamten Westen einen radikalen Wohlstands-Sturz in Kauf nehmen, um jeglichen Handel mit Rußland sofort einzustellen? Das würde Putins Regime massiv ins Wanken zu bringen, seine Bande radikal von allen denkbaren Einnahmequellen abschneiden, die russische Volkswirtschaft tief erschüttern, damit das Volk massiv gegen diese Regierung aufbringen. Ich denke, das wäre praktisch machbar, ist aber nicht wahrscheinlich.
Wir müßten das ferner mit Einbußen in unserem wirtschaftlichen Entwicklungspotential bezahlen. Unserer Zukunftsfähigkeit wäre beschädigt. Wenn ich beachte, wie sich meine Leute nun über Jahre unter den Belastungen der Corona-Pandemie benommen haben, um ihre Annehmlichkeiten einzufordern, für ihre Freiheitsansprüche zu trommeln, halte ich so einen radikalen wirtschaftlichen Schlag gegen Rußland für unvorstellbar, obwohl er die Kriegsmaschinerie vermutlich stoppen könnte.
Andauernde Kriegsverbrechen
Ich kann derzeit von meiner Ansicht nicht abrücken: Steht der Faschismus in Waffen, muß er militärisch geschlagen werden. Das kann Abschreckung bedeuten: der Aggressor zieht sich zurück und gibt seine Kampagne auf. Das kann heißen, beide Seiten sind so abgekämpft, daß sie von einander lassen müssen.
Es sind noch keine zwei Wochen vergangen, da wir eine neue Lektion erhielten, mit wem wir es zu tun haben. Die Raketen 9K79-1 Totschka-U werden wahlweise mit Nuklearsprengköpfen oder mit Splittergefechtsköpfen ausgestattet.
Der Splittergefechtskopf detoniert in einer Höhe von 15 bis 21 Metern über seinem Ziel und verstreut 14.500 Splitter. Das heißt, diese Waffe zerhackt Menschen. So ein Schlag gegen Zivilpersonen erfolgte am 8. April 2022 auf dem Bahnhof von Kramatorsk. [Fakten-Check] [Russia’s Kramatorsk ‘Facts’ Versus the Evidence]
Was darf man daraus schließen? Ich schließe daraus, die Ukraine muß militärisch siegen oder geht unter, würde dann ethnische Säuberungen erleben, würde ihre Kultur aufgeben dürfen, wie Tibeter oder Uiguren in Chinas Machtbereich. Das kann man den ukrainischen Leuten ja empfehlen: „Gebt jetzt alles auf, damit das Töten endet!“
Ich sehe aber keine Möglichkeit, einem Staatsvolk vom sicheren und wohlhabenden Westen aus sowas zuzurufen, während wir unseren Lebensstandard gesichert sehen wollen. Zur militärischen Lösung dieser Aggression Rußlands kann ich mangels Sachkenntnis nichts beitragen.
Aber was uns angeht, sehe vor allem die Anforderung, das eigene Haus zügig in Ordnung zu bringen, denn was Korruption und Demokratiestandards angeht, hat sich Österreich nun über Jahre permanent verschlechtert. Wir können also anderen Völkern schlecht Ratschläge erteilen. Wir können uns aber bessern…
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Postskriptum
Worüber wir noch reden müssen, weil es Gleisdorfs Gegenwart ganz konkret betrifft: Ich habe schon skizziert, wie eine Neue Rechte sich in Europa ab den 1980er Jahren in einer beeindruckenden Kulturleistung neu zu verbreiten und etablieren begann.
Ich habe erzählt, wie wir spätestens ab 1989 reichlich Literatur in die Hände bekamen, die erhellte, was da vor sich ging. Was des Westens Neue Rechte wurde, ist in Rußland Alexander Dugins „Vierte politische Theorie“ geworden. Ich zitiere den russischen Neofaschisten und Putin-Ratgeber Dugin erneut aus dem schon erwähnten Interview: „It’s 1981. I didn’t know anything until 1981. Nothing. It’s just that… And then, after 1981, I knew everything.“