Zugegeben, es kommt ein wenig plüschig daher, wenn ich hier schon mehrfach notiert habe, die Kinder und Enkel der Nazi-Horden hätten sich mit Kindern und Enkeln der Roten Armee nicht nur verständigt, sondern stellenweise Allianzen gebildet. Das manifestiert sich inzwischen sogar auf Gleisdorfs Straßen, ohne daß in dieser Sache bis heute eine klare Stellungnahme aus dem Rathaus gekommen wäre.
Als im November 2021 die Kommunistin Elke Kahr Grazer Bürgermeisterin wurde, hatte ich via Social Media ein paar Tänzchen mit christlichsozialen und mit konservativen Leuten. Sie belehrten mich ausdauernd bezüglich der Gefahren, die der Kommunismus für uns bis heute bereithalte. Ich erlebte dabei auch so manche abenteuerlich Karl Marx-Exegese. Wir waren bei diesen Tänzchen hauptsächlich im Dissens.
Man kann offenbar so heftig mit Kommunismus-Deutungen befaßt, daß einem gar nicht auffällt: das Thema ist längst vom Tisch, ist Geschichte. Sie glauben mir nicht? Wir könnten über „Neobolschewismus“ reden, der heute nicht besonders marxistisch ist. Ich mochte hier schon zeigen, daß im Rahmen der Gleisdorfer Unruhe aufschlußreiche Flaggen-Momente vorgekommen sind. So etwa das Schwenken nicht der russischen Flagge, sondern der Standarte von Präsident Wladimir Putin.
Macht das einen Unterschied?
Das macht einen großen Unterschied. Putins vermutlich prominentester „Influencer“ betonte in einem Interview: „…and I had a very negative attitude toward Communism. Unconditionally negative. A complete, totally negative attitude toward Communism.“
Erinnern Sie sich, daß ich hier mehrfach notiert habe, in den 1980er Jahren habe sich eine Neue Rechte formiert und quer durch Europa systematisch nach gesellschaftlicher wie politischer Macht gegriffen, ihren Einfluß strategisch ausgebaut? In meiner Bibliothek stammen die wichtigsten Bücher zum Thema aus den Jahren 1989 bis 1992, was besagt: Anfang der 1990er Jahre war klar, womit wir es da zu tun haben.
Einige dieser Bücher nahm ich Anfang März dieses Jahres zu einem Arbeitsgespräch mit. Ich hab sie wieder eingepackt, nachdem ich unter anderem hören durfte, man möge sich bezüglich der Gleisdorfer Protestmärsche nicht mit „Hirnwichserei“ befassen, sondern das Publikum ansprechen.
Ich hab danach zu verdeutlichen versucht, daß wir die Unterscheidung zwischen a) Grundlagenarbeit und b) angewandten Formen schaffen sollten, daß es schiefgehen werde, wenn wir das trennen; gemäß der Auffassung, wir mögen Aktion und Reflexion beieinander halten.
Ich sah in diesem „Hirnwichser-Einwand“ das Echo der guten alten Intellektuellenfeindlichkeit unserer Nazi, also der Originale, wie sie sich natürlich auch in linken Kreisen zeigt. Der oben zitierte Putin-Influencer kennt sowas aus seinen Milieus.
Er sagte zum Beispiel über Anhänger von Julius Evola, sie seien „even worse, a bunch of hooligans, extremely right-wing and more interested in street actions than intellectual work. So there was a real intellectual vacuum…“
Im Faschimsus kannte man das als den „Primat der Tat“. (Handeln geht vor Denken und Reden.) Wen ich hier zitiere? Alexander Dugin, der in jenem Interview mit Kristina Stoeckl und Alexander Mikhailovskiy, Englisch sprach, in diesem Gespräch aber manche deutsche Begriffe verwendete; wie etwa hier: „That is, the process of moving from being a NichtWissender to a Wissender [non-knower to a knower] took place rapidly.“
Und da liegt der grimmige Witz, den man in Gleisdorf vorerst noch ignoriert: Dugin hält, wie etwa auch der Historiker Yuval Noah Harari, die Narrative Faschismus, Kommunismus und liberale Demokratie für erledigt. (Er kommt bloß zu anderen Schlüssen.) Außerdem verabscheut Dugin den Kommunismus: „In 1991, I saw what bastards our liberals were. The Communists had been monstrous, but what came after them was worse! Those who came to power after the collapse of the Soviet Union, they were just scum.“
Darf ich annehmen, daß Putin sich von Dugin fundamentale Orientierungspunkte geholt hat? Liberalismus gilt als Albtraum, Traditionsverlust als Gift. Deshalb das gute Einvernehmen mit der orthodoxen Kirche!
Dugin („Ich lese Heidegger andauernd.“) gründete eine „Eurasische Partei“, um seinem „Neuen Eurasianismus“ Schubkraft zu verleihen. (Ein Konzept, das seine Wurzeln in den 1920er Jahren hat.) Der Kommunismus liegt hinter diesem Denken, ist Archiv-Inventar. Dugins „Vierte politische Theorie“ bietet sich – nach Faschismus, Kommunismus und Liberalismus – als neues Narrativ an. Ich denke, DAS bedeutet die Putin-Standarte auf Gleisdorfs Straßen.