Was es wiegt… #70: Repolitisierung

(Beiträge und Fragen zu einer nächsten Kulturpolitik)

Christoph Stark ist einerseits Gleisdorfs Bürgermeister, andererseits Nationalratsabgeordneter. Das bedeutet, mein Terminkalender ist grundlegend leichter zu ordnen und zu kontrollieren als seiner. Falls mich pro Tag mehr als drei Telefonanrufe erreichen und die Woche mir fünf bis sechs Termine außer Haus beschert, bekomme ich das bange Gefühl, ich könnte eine Sekretärin brauchen.

Christoph Stark, Bürgermeister und Parlamentarier

Das ist nicht der einzige Kontrast zwischen Stark und mir. Lebensweg, Arbeitssituation, sozialer Status und Standard, politische Ansichten… Da ließe sich noch einiges auf die Liste setzen. Nun war ein Auffassungsunterschied Anlaß unseres aktuellen Gesprächs. Eine Differenz, die sich nicht ausgleichen ließ. Dazu kamen einige inhaltliche Fragen.

Mutmaßungen
Gehen Sie ruhig davon aus, daß mir in meinem Milieu dann auch allerhand zugetragen wird. Wie der so sei, der Stark, klärt man mich auf. Oder man fragt, weshalb ich mich „mit einem ÖVPler“ exponiere, ihn dann auch noch „promote“… Mutmaßungen und unüberprüfte Annahmen. Boulevard-Stil.

Ich bin nicht immer dazu in Laune, aber manchmal erklären ich den Absendern solcher Botschaften gerne, was sie offenkundig am Thema Demokratie nicht verstanden haben; und weshalb ich gar nichts auf Kolportage zum Charakter eines Menschen gebe. Für mich zählt der reale Umgang miteinander und was dabei geschieht, also die konkrete Erfahrung.

Was einige Belange des Rathauses betrifft, was dabei als Differenz zwischen Stark und mir besteht, wurde wohl nicht aufgehoben, aber präzisiert. Das heißt, wir wissen nun genauer, worin wir uneins sind. Wer glaubt, das sei kein gutes Gesprächs-Ergebnis, ist von der Couch noch nicht oft heruntergekommen. (Solche Klarheiten sind sehr gute Gesprächsergebnisse!)

Ich sag es inzwischen ungern, weil es schon ein wenig platt klingt, aber ich hab noch keinen eleganteren Satz dafür: Wer versucht, Widersprüche zu eliminieren, um Wahrheiten zu erzeugen, sollte sich allenfalls mit Theologie oder Mathematik befassen. Im Gemeinwesen bringt uns diese Annahme nicht voran.

Apropos Gemeinwesen!
Dissens ist anregend. Er macht vor allem auch Platz für andere Themen, denn ich brauch doch niemanden zu bedrängen, daß er seine Ansichten ändern und den meinen angleichen möge. Ich brauche den Kontrast.

Kulturreferent Karl Bauer

Das andere Thema in dieser Begegnung basiert auf einem Konsens. Der Hintergrund: Politik! In Europas Kultur gab es zuerst das Gemeinwesen = Polis, dann die Staatskunst = Politika. Politik ist also – gemäß unserer Ideengeschichte – seit jeher das, was sich aus einem Wechselspiel zwischen Gemeinwesen und Staatskunst ergibt. Heute würde man zeitgemäß sagen: zwischen Zivilgesellschaft und Funktionärswelt.

Der Boom: Mit dem demonstrativen Verwünschen eines Politikers ist es ähnlich wie mit dem Leugnen der Pandemie. Das nützt einem vielleichtbei der Spannungsabfuhr und entläßt einen aus der unangenehmen Situation, Mitverantwortung für das Gemeinwesen zu übernehmen. Es ist zum Glück wer anderer an allem schuld. (Gut. Das sind uninteressante Leute!)

Kulturpolitik
Zurück zur Differenz und zum Kontrast. Stark und ich haben nun eine erste Übereinkunft für eine Art Versuchsanordnung. Er als ein Mann der Staatskunst, ich als ein Mann des Gemeinwesens: das handelt von ganz unterschiedlichen Aufgaben und Rollen. Die haben aber sachlich begründete Schnittpunkte.

Ich denke, wir werden uns im Raum Gleisdorf ein, zwei kulturellen Themen widmen, wo wir in entsprechender Rollenklarheit mit einander zu tun haben. Das verbinde ich zur zivilgesellschaftlichen Ebene hin (Privatpersonen und Rechtspersonen/Vereine), das wird Stark für sich zu gestalten wissen. Was und wie? Derzeit noch offen.

Ein formeller Schnittpunkt, der dabei nicht unterschätzt werden darf: Karl Bauer trägt als Kulturreferent der Stadt die politische Verantwortung für diesen Bereich, hat das Metier einerseits gegenüber dem Gemeinderat zu vertreten, andrerseits gegenüber der Bevölkerung.

Wir leben in interessanten Zeit. Das Land, Europa, die ganze Welt sind in Unruhe. Ich sehe keinen Nutzen in Posen, aus denen man anderen zuruft, sie mögen ihr Verhalten ändern, damit es mir besser gehen kann. Ich verspreche mir weit mehr von einer Praxis des Kontrastes im Dialog, bei der auch Konsens als Anregung gilt.

Ich nehme an, wie dringlich auch immer mir von anderen Leuten dieses oder jenes Thema aufgedrängt wird, wir dürften eher vorankommen, wenn wir erst einmal in Ruhe klären, was gute Fragen auf der Höhe der Zeit seien.

Sie ahnen nun vielleicht, was ich unter Repolitisierung verstehe. Daß Leute aus Gemeinwesen und Staatskunst Dialoge führen und Kooperationsmöglichkeiten suchen, um an aktuellen Aufgaben zu arbeiten.

— [The Long Distance Howl] —

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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