Was es wiegt… #65: Ceterum censeo

(Beiträge und Fragen zu einer nächsten Kulturpolitik)

…im übrigen meine ich, daß wir nicht wissen, wovon wir reden, wenn wir keine Begriffe haben. Ich empfinde daher wachsenden Kummer mit meinem Berufsfeld, wo sich exponierte Menschen weigern, Begriffe zu überprüfen und deren Gehalt offen zu erörtern, auf daß wir unseren Orientierungssinn kalibrieren können.

Das bräuchten wir, um aus der aktuellen Unruhe taugliche Schlüsse zu ziehen und verfügbare Kräfte klug einzusetzen. Ich hab nun von Anfang Jänner bis Mitte Februar 2022 eine ganze Reihe von Arbeitsgesprächen absolviert, um zu klären, a) welche inhaltlichen Prioritäten und b) welche Kooperationsmöglichkeiten derzeit Vorrang haben sollten.

Ein bemerkenswertes Detail liegt in meinen Kontaktaufnahmen mit der Landes- und der Bundesebene, wo jeweils schon 2021 kulturpolitische Arbeiten begonnen haben, um Prioritäten und Strategien für die nahe Zukunft zu klären.

Erst jetzt, Monate später, habe ich erfahren, was dabei schon alles festgelegt ist und wer schon alles regional verpflichtet wurde, um diese Arbeit in den Regionen zu tragen. Transparenz? Öffentlicher Diskurs? Laufende Debatte?

Aber nein! Mehr als ein Quartal nachdem diese Vorhaben publik gemacht wurden, öffnet sich das Geschehen nach außen. Aber davor hat längst intensives Networking stattgefunden, bei dem ein ganz erheblicher Teil von Schlüsselpersonen aus diversen Funktionärsschichten rekrutiert wurden.

Gut, ich sollte für möglich halten, daß Menschen und Dinge sich ändern. So werden also Menschen in wesentlichen Verwaltungspositionen, die nun gut 20 Jahre lang gezeigt haben, daß Kunst und Kultur nach ihrem Geschmack am besten als Mägde des Marketings bewähren, sich eventuell aufraffen. Sie werden sich einen nächsten Kulturbegriff erarbeiten und auf die Politik förderlich einwirken.

Sie werden primäre Kräfte nicht mehr verwerten, stellenweise instrumentalisieren, sondern deren Kompetenzen schätzen und deren Vorhaben begleiten, verstärken. Ja, das könnte so kommen. Dann begänne vielleicht eine Zeit, in der Deko-Objekte nicht mehr als „Kunstwerke“ deklariert werden und entsprechende Budgets tatsächlich in das geistige Leben eines Gemeinwesens investiert werden, statt in Kreisverkehr-Behübschungen etc. etc.

Nun dominieren zwar in meinem Winkel der Welt die Machtpromotoren diesen Prozeß, während noch unklar ist, wie gut Sachpromotoren aufgestellt sein werden, aber im Sinn der vorhin skizzierten Wandlung von Intentionen wie Vorhaben wäre Zuversicht eine Tugend. Ich muß das alles ja nicht glauben. Ich brauch es bloß für möglich halten. Und ich sollte mich aus dem Spiel nehmen, um nicht zu stören…

— [The Long Distance Howl] —

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
Dieser Beitrag wurde unter Reflexion und Grundlagen abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.