Es gibt über die Jahre in meiner Arbeit und in meinem Blick auf Europa wiederkehrende Motive, darunter zwei Dreiergruppen: a) Verdun, Auschwitz und Srebrenica, b) Wien, Beograd und Istanbul. Das berührt auch die Kontraste zwischen Latinität, Orthodoxie und Islam, wobei das Jüdische meist ungenannt zur Wirkung kommt. Für mich sind das wichtige Themen-Koordinaten. Dazu kommt: Weltgeschichte berührt Regionalgeschichte. Also auch Gleisdorf. Also auch die Oststeiermark.
Ich habe eben meine Projektleiste „Mai acht“ aufgemacht und entfalte ab da eine Erzählung, die auf den achten Mai 2022 ausgerichtet ist. Das hat mehrere Auslöser. Einer dieser Auslöser sind die Gleisdorfer Unruhe und wie im Rathaus darauf reagiert wird.
Ich bin sehr konsterniert, wie Gleisdorfer Opinion Leaders auf die Proteste, die Konfliktlage und laufende Diskurse antworten. Ich vermisse derzeit ein paar grundlegende Qualitäten im Konfliktmanagement der Kommune und in deren Krisenkommunikation.
Ich hab in einer Glosse dargelegt, weshalb ich die Strategie und das Auftreten des vorläufigen Gleisdofer Verhandlungsführers für sehr kontraproduktiv halte. (Der Link dazu steht am Textende.)
Task & Force
Die Aufgabe bestand gerade noch darin:
a) Verständigung über Kontaktpersonen,
b) Annäherung von beiden Seiten aus,
c) Gespräch über die unterschiedlichen Auffassungen vom Status quo,
d) erste Verhandlungen, wie man wenigstens einmal den Konflikt ein erstes Stück herunterfahren könnte,
e) Suche und Vereinbarung von einem nächsten sinnvollen Schritt, dem beide Seiten zustimmen.
Was macht der aktuelle Verhandlungsführer Wolfgang Weber? Er setzt auf eine zweistufige Machtdemonstration, um das Verhandlungssetting zu definieren und zwei Schlüsselpersonen der Protestbewegung ihren Platz zuzuweisen. Der Effekt? Ich höre, seine beiden Gegenüber aus der rebellischen Liga haben das Gespräch inzwischen abgesagt. So geht man nicht in den Auftakt einer Konfliktbearbeitung, Weber aber schon.
Ich weiß auch, was mir das einbringen wird, diese Dinge detailliert zu kommentieren, denn es gibt jetzt schon eine mit dümmlichen Aussagen belebte Gerüchteküche. Das wurzelt zum Teil in der Omertà, die im Rathaus gilt. Ein Begriff aus dem Mafia-Milieu. Der bedeutet: Schweigepflicht.
Gleisdorfer Schweigepflicht
Über Fehleistungen von Stadtpolitikern oder Verwaltungskräften darf man nicht öffentlich sprechen, sonst hat man Probleme am Hals. Ich hab das schon mit PR-Mann Gerwald Hierzi erlebt, in dessen Ressort die Omertà Blüten treibt. Nun geschieht das wieder in anderem Zusammenhang. (Auch mein vertrautes Milieu schweigt dazu.)
Dazu paßt, daß der von Hierzi regierte „Kulturpakt Gleisdorf“ durch Agonie glänzt und zum geistigen Leben in der Stadt, zu den Anfechtungen der Demokratie, zu Fragen der soziokulturellen Stimmungslage in der Region nichts, gar nichts, und wieder nichts zu sagen weiß. Sie ahnen nun vielleicht, weshalb ich das mit dem 8. Mai assoziiere.
Mein Thema
Ich will Ihnen ein Beispiel geben, welche Fragen unter anderem zu bearbeiten wären, statt Machtdemonstrationen und große Sprüche ins krisenhafte Geschehen Gleisdorfs zu werfen. Wir sollten im günstigsten Fall möglichst alle auch persönliche Verantwortung dafür übernehmen, daß die Demokratie gedeiht und der soziale Frieden gestärkt werden kann.
Seit es Nationalstaaten gibt, müssen Regierungen und Staatsvölker mit einem unauflösbaren Konfliktpotential sinnvoll umgehen. Es gibt immer einen gewissen Anteil an illoyalen Bürgerinnen und Bürgern. (Das war mit Untertanen unserer Monarchie nicht anders.)
Illoyal, indem sie die Regierung ablehnen oder die Verfassung, den Staat als solches oder die ethnische Gewichtung des Staates, die Pflichten, die uns vom Staat auferlegt werden, ganz egal. So bleibt stets neu zu klären: wie viele illoyale Bürgerinnen und Bürger kann ein Staat verkraften, bevor er zu zerbrechen droht? (Ich denke, damit hat etwa Bosnien und Herzegowina bis heute zu ringen.)
Es gibt eine verwandte Frage, die uns auch beschäftigen muß, zumal sich Europa von Rußland beunruhigt zeigt, aber davor Afghanistan schon sehr lehrreich war. Die Frage lautet: Wieviele tote Söhne auf dem Schlachtfeld verkraftet eine Gesellschaft, bevor sie zu zerbrechen beginnt?
Durch Geschwätzigkeit nicht zu lösen
Es gibt also einige massive Kräftespiele, die den sozialen Frieden erodieren lassen oder auch zerstören. In der Folge müssen Lösungen gefunden werden, um dieses Konflikt-Feld zu befrieden. Wer meint, man müsse die Devianten, die Sturen, die Widerspenstigen und die Gefährlichen belehren bis „umerziehen“, auf jeden Fall maßregeln, redet im Grunde von Sibirien, Gulag, Goli Otok, Straflager oder Sträflingskolonien, wie einst Australien eine gewesen ist. Das sind abstruse Konzepte, deren Realität uns China heute noch zeigt. Da brauchen wir andere Ideen.
Meine Optionen lautet: wir sollten uns um eine friedlichere Koexistenz bemühen, dabei Strategien suchen, mit denen sich die offenen Konflikte wenigstens teilweise runterfahren lassen. Ob ich auf jemanden einwirken will oder kann, steht hier vorerst nicht zur Debatte. Es geht um die Koexistenz mit Andersdenkenden, deren Bürgerrechte ihnen erlauben, in diesem Land zu leben und ihre Ansichten zu vertreten, ob mir das paßt oder nicht.
Deeskalation und die Bemühung um Koexistenz in der Differenz, das sind unter anderem kulturelle Agenda. Das sollte eigentlich in der Wissens- und Kulturarbeit vorkommen, das sollte ein vorrangiger Gegenstand von Kulturpolitik sein. Wer das anders sieht, soll seine oder ihre Gründe nennen, und zwar auf nachvollziehbare Art, so daß man in einer Debatte darauf eingehen kann.
+) Meine Kritik an Wolfgang Weber
+) Meine Projektleiste „Mai acht“