D:Demo #22, Gegen etwas? Für etwas!

Wie schlau wäre es, wenn jemand in Gleisdorf eine Protestbewegung gegen die Protestbewegung aufbauen möchte? Das würde allein schon am vorläufigen Mangel an Mobilisierungskraft scheitern. Ich hielte es für unmöglich, diesen Mangel in kurzer Zeit auszugleichen.

Wie schlau wäre es, die Provokateure zu provozieren? Wenn die neue Bourgeoisie sich aufplustert, werden erfahrene Agitatorinnen und potentielle Streetfighter sich sofort fürchten. Richtig? Falsch!

Verhandeln? Sicher! Aber dazu müßten sich erst einmal Verhandler finden lassen, statt daß man Prediger an den Tisch bittet. Im Fall Gleisdorfs waren kurz zwei Predigerinnen im Gespräch, ohne daß man eine Verhandlerin auch nur gesucht hätte. Was meine ich damit? Ich meine den Unterscheid zwischen dem Verkünden und Begründen.

Wo geht es auf die nächste Ebene?
Ein Glaubensgegenstand wird nicht bewiesen, sondern bezeugt. In der Agitation auf der Straße (und via Social Media) geht es primär um Mobilisierung, nicht um konkrete politische Verhandlungsergebnisse. Die nenne ich Prediger, wenn sie bekennerhaft agitieren, Mobilisierung voranbringen, im öffentlichen Raum für temporäre Dominanz sorgen.

Da muß man in Gleisdorf eventuell zugeben: Diesen Teil habt Ihr aufv der Ebene gewonnen und ein Ziel erreicht, nämlich: Wir haben endlich gehört, daß die Befassung mit einigen Problemen unaufschiebbar ist. Der Punkt geht an Euch.

Dagegen müßten Verhandler sich nun analytisch bewähren, nachvollziehbare Befunde auf den Tisch legen, ihre Schlußfolgerungen präzisieren und dann die ersten Kompromisse suchen, also begründen, statt verkünden. Sonst bleibt es beim Aktionismus auf der Straße, der mindestens einen weiteren Zweck allemal erfüllen kann: bestehende Verhältnisse zu zerrütten. Da bliebe dann die Frage, wer in diese Zerrüttung ordnend hineingeht, denn der Aktionismus schafft kein stabiles Gemeinwesen.

Mich überzeugt diese Idee gegen eine lebhafte Bewegung vorzugehen ohnehin nicht. Das halte ich für 19. Jahrhundert, um nicht gleich den Sturm auf die Bastille zu bemühen. Mich beschäftigt die Option, wie ich mich für etwas engagiere statt gegen etwas. Aber wofür? Zwei wesentliche Punkte:

+) Stabilisierung des sozialen Friedens und
+) Anhebung der Zukunftsfähigkeit dieses Gemeinwesens.

Genau dafür steht einer meiner aktuellen Lieblingssätze: Wir sind die Differenz! Denn diese Option kommt nicht voran, indem man beginnt, die Widersprüche zu eliminieren. Erst wenn wir Dissens ertragen und womöglich sogar als anregend erleben, kommen wir da weiter.

Wenn ich einen Teil des Themas ganz hoch hängen möchte, geht es auch um folgende Frage. In einem Intro zu meinem Projekt „Mai acht“ hab ich notiert: „Seit es Nationalstaaten gibt, müssen Regierungen und Staatsvölker mit einem unauflösbaren Konfliktpotential sinnvoll umgehen. Es gibt immer einen gewissen Anteil an illoyalen Bürgerinnen und Bürgern. (Das war mit Untertanen unserer Monarchie nicht anders.)“ [Quelle]

Koexistenz-Fragen
Da ist ein bestimmter Prozentsatz von Leuten, die sich von ihrer gegnerischen Position nicht abbringen lassen, egal, was jemand versucht. Ich votiere für eine Praxis der Koexistenz, die diesen Leuten etwas Kraftvolles gegenüberstellt. Wer sie dagegen belehren, womöglich umerziehen, mindestens kujonieren möchte, wird beim Thema Straflager landen, bei Sibirien, beim Konzept des Gulag.

Was immer also in Gleisdorf Wirkung entfalten soll, um den Konflikt mit den Protestierenden wenigstens abzumildern und einen Ansatz für eine Konfliktlösung zu liefern, sollte nach meinem Geschmack nicht gegen sondern für etwas entwickelt werden. Aus pragmatischen Gründen. (Weil ich das für vielversprechender halte.)

Ich hab schon am 3. Februar des Jahres Ansichten einer Person zitiert, die ich nicht für einen Prediger, sondern einen Verhandler halte; wobei hinter der Maske auch eine Frau stehen könnte. Bemerkenswert, wie konkret die genannten Ziele sind, die ich für gut verhandelbar halte. Siehe: „D:Demo #14, der Qualitätssprung“!

Prompt meinte meine Gouvernante wegen des Hinweises auf diese Person: „Nachdem du sagst, du kennst keinen, dann wird sich eben auch nichts umsetzen lassen. Oder erwartest du, dass jetzt jemand aufsteht und sagt: ich weiß aber was? Wenn du also weit und breit niemanden siehst, der dazu in der Lage ist, dann frag ich mich, wofür du noch was forderst und an wen du die Forderung richtest. Für mich klingt das eher nach: ich wüsste eh wie, aber leider sind alle anderen zu blöd dafür.“

Maske ablegen
Das illustriert den Kontrast zu meiner Intention, wobei ich zugebe, daß meine Variante Zeit beansprucht, keine Zack-zack-mach-ma-schon-Lösung ist. Ich will nämlich niemanden belehren, „bessern“ oder gar bekehren. Man stelle sich vor, wie schaffen eine Situation, in der Menschen ihre Maske ablegen mögen, auf verdeckte Intensionen verzichten, weil sie annehmen dürfen, daß ihre Anliegen gehört und respektiert werden, um dann zu verhandeln, welcher Kompromiß möglich wäre.

Sowas schließt ein, daß wir in Differenz leben können. Das schließt ein, die Koexistenz mit unbelehrbar Andersdenkenden zu akzeptieren und zu gestalten. Gestalten im Sinn der oben genannten Qualitäten: Stabilisierung des sozialen Friedens und Anhebung der Zukunftsfähigkeit dieses Gemeinwesens.

Also kein paternalistischer Kreuzzug unter der Flagge der angeblich „edleren Werte“, sondern ein Ringen um Bedingungen der Demokratie. Das ist für mich freilich kein Kuschelkurs. Wenn es hart auf hart gehen sollte, entlang unserer Konventionen und Gesetze, dann wird es notfalls grob. Ich hab es mehrmals erwähnt, ich bin ein Mann der Republik. Siehe dazu „Ich. Im Klartext.“ Die Res publica ist auf den öffentlichen Raum als politischem Raum angewiesen, ebenso auf öffentlichen Diskurs. (Das Predigen ist freilich älter.)

+) Vorlauf | Fortsetzung
+) Die Betrachtungen im Überblick

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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