[Vorlauf] Was haben wir nun auf dem Tisch? Gleisdorf wird Woche für Woche von einer Protestbewegung durchgerüttelt. Die Kundgebungen haben einmal mehr, einmal weniger Zuspruch und lösen bei Ansässigen vielfach auch Unmut aus, der merklich zunimmt. Jüngst war wieder ein Redner zugange, der explizit erklärte, es gebe keine Pandemie und Corona sei eine Grippe, mehr nicht.
Ich staune, welchen honorigen Leute aus meiner Umgebung inzwischen via Social Media laut über eine Revision der Bürgerrechte nachdenken, Einschränkungen vorschlagen. Damit geht das Kalkül eines Teils der buntgemischten Aktivisten-Formationen auf. Die Gleisdorfer Unruhe hat nämlich weltanschaulich höchst unterschiedliche Proponentinnen und Proponenten.
Einige darunter sind gut organisiert und strategisch smart aufgestellt. Provokation soll immer ein bestimmtes Verhalten auslösen, je nach Intention der provozierenden Kräfte. Solche Proteste und Provokationen treffen auf drei Sektoren: Staat (Politik und Verwaltung), Markt (Wirtschaftstreibende) und die Zivilgesellschaft (Privatpersonen und Vereinsmitglieder).
Ich wünschte, im Rathaus hätte jemand eine simple Hausübung gemacht. Die bestünde im Erstellen einer kleinen Checkliste mit den prominentesten Ressentiments und Vorwürfen, die man von dieser Protestbewegung nun schon seit Beginn der Corona-Krise in allen Medien findet.
Wer dann Gegenmaßnahmen plant, könnte anhand dieser Checkliste mindestens versuchen, die markantesten Punkte dieser Ressentiments unberührt zu lassen, die Protestbewegung nicht über solche Punkte zusätzlich zu triggern. Klar? Klar! Nein, nicht in Gleisdorf.
Unter uns Chorknaben
Wie kam es zu meiner Kontroverse mit Gemeinderat Wolfgang Weber? Er reagierte mit einem Statement auf die Protestveranstaltung vom 18.2.22. Ich äußerte Skepsis gegenüber seiner Behauptung mit dem Satz: „man sollte seine opponenten in einer kontroversiellen debatte mit genauigkeit würdigen und damit auch die eigene position aufwerten.“ Darauf reagierte er sehr harsch und unterstellte mir merkwürdige Intentionen.
In meiner Glosse „WWWMR 2“ hab ich versucht, seine Behauptungen zu verifizieren, was nicht gelang. Webers Aussage, die ich in Frage gestellt hab, ist nicht stichhaltig und fällt wohl unter „Alternative Facts“ Bingo! Genau solche Usancen werden von der Protestbewegung ja der Regierung, der Wissenschaft und den Medien vorgeworfen.
Weber und seine Sekundanten wurden außerdem sehr schnell spöttisch und herablassend. Bingo! Das nächste Ressentiment klingelt; es hat was mit „elitär“ zu tun. Ich schließe daraus, einige Funktionäre sind in diesem Konfliktes mehr mit ihrem Ego beschäftigt als mit einer professionellen Bearbeitung des Konfliktes.
Eine Annahme, die Weber mit einem neuen Posting am 20.2.22 fulminant bestätigt hat. (Zitat: „Das war gut so, denn man kann sich vorstellen, wenn sich diese hasserfüllten Aktionen nicht gegen mich, sondern gegen andere Gleisdorfer Unternehmer ergossen hätten.“) Aber dazu in der nächsten Glosse.
Klartext by Feirer
Immerhin brachte dann Ex-Geschäftsfrau Kerstin Feirer ein paar Überlegungen ein, dank derer ein kaufmännischer Laie das Problem der Innenstadt-Geschäftsleute besser verstehen kann. Und darum ginge es eigentlich im Moment, auch wenn sich Weber um solche Kommunikationsarbeit gerade nicht kümmern mag. Es ist zwar immer noch so, daß sich Webers Behauptungen zum 18.2.22 nicht belegen lassen, aber es geht eben auch um Effekte, die über diesen Tag weit hinausreichen.
Feirer erhellt das: „Die Geschäfte in der Innenstadt bedienen nicht den täglichen Bedarf wie ein Supermarkt. Zu dem man geht, weil die Butter aus ist. Die kleinen Boutiquen leben von Laufkundschaft und ihre Produkte sind keine ‚Notwendigkeiten‘. (Unterschied zu GEZ: Frequenzbringer Supermarkt). Wie machen also diese Boutiquen ihren Umsatz? KundInnen ‚schlendern‘ durch die Straße, sind entspannt, sehen etwas, das ihnen gefällt und kaufen es sich. Da geht es viel um Belohnung, Entspannung etc. Darüber kann man extra mal sprechen.“
Das hilft, um zu verstehen, worin genau hier die Interessen der Innenstadt-Geschäftsleute und der Protestbewegung kollidieren. Man muß ja keine der beiden Positionen annehmen, sollte aber verstehen können, wovon dieser eine Teil des Konfliktes handelt.
Warum kommuniziert Gleisdorfs Wirtschaft das nicht nachvollziehbar? Wo in Gleisdorf Privatwirtschaft, Politik und Verwaltung in Wechselwirkung treten, habe ich folgende Formationen finden können:
+) einen Ausschuss für Stadtentwicklung, Raumordnung, Ortsbild und Wirtschaft,
+) eine Stadtmarketing Gleisdorf GmbH,
+) das Schaufenster Gleisdorf (Jahresmarketingkooperation),
+) die Tourismusverband Oststeiermark – Geschäftsstelle Gleisdorf,
+) das LEADER-geförderte Projekt „Regional handeln – Impulse zur Stärkung der regionalen Wertschöpfung“,
+) Teilhabe an der Businessregion Gleisdorf
Das macht in Summe eine Menge Budget in den Händen etlicher gutbezahlter Leute mit Teams, die ihnen bei der Arbeit zur Hand gehen. Der erste Corona-Lockdown war im März 2020. Jetzt haben wir in wenigen Tagen März 2022.
Die offenkundigen Versäumnisse
Wo ist ein aktuelles Strategiepapier einzelner dieser Formationen oder einer Gesamtkooperation dieser Einrichtungen? Ich denke, auf der Verwaltungsebene sollte Gerwald Hierzi das beantworten können, auf politischer Ebene Wolfgang Weber.
Anders gefragt: mit welcher Strategie und mit welchen Praxisschritten möchten Privatwirtschaft, Politik und Verwaltung auf dieses Paket von Belastungen reagieren, zu denen auch die Gleisdorfer Protestserie gehört, ohne dabei die Bürgerrechte beschneiden zu wollen, aber
a) den zentral betroffenen Betrieben wenigstens eine Milderung der Belastungen in Aussicht zu stellen und
b) ein paar kluge Schritte zu setzen, um das Konfliktpotential der Protestbewegung runterzufahren?
Ich sehe, diese Arbeit wurde bisher nicht gemacht. Cafetier Johann Grimm, mit dem ich kürzlich ein sehr bewegendes Gespräch führen durfte, meinte aktuell: „Impfpflicht weg = Demo weg.“ Das ist immerhin ein Ansatz, um über konkrete Deeskalationsschritte zu sprechen. (Zu Grimm siehe: „Wohin es führt“!)
Hier noch einmal Feirer: „Auf jeden Fall gehört der Freitag Nachmittag seit jeher zu den Tagen, an denen sich ‚Laufkundschaft‘ in der Innenstadt aufhält. Nach der Arbeit, ein Kaffee, entspannen, ein bisserl shoppen. Vermieden wird Stress. Nachdem jetzt freitags regelmäßig demonstriert wird, bleiben viele KundInnen aus. Einfach weil sie keine Lust haben, an der Demo indirekt teilzunehmen. Die Innenstadt wird Freitag Nachmittag mittlerweile gemieden und ein großer Teil der Laufkundschaft fällt weg.“
Sie präzisiert aber auch, worüber Weber uns anschweigt: „ Dass der Handel vorher schon Probleme hatte, ist kein Geheimnis. Dass aber jetzt regelmäßig ein umsatzstarker Nachmittag wegfällt, ist ein Problem, da sich das Einkaufverhalten mit der Zeit ändert und es noch mehr Zeit/Ressourcen braucht, um die Menschen wieder in die Innenstadt zu bringen. Ich hab die Freitag Nachmittage zwei Jahre lang in Hinblick auf Frequenz beobachtet. Und mit den freitäglichen Demos ist die Chance auf einen potentiellen Kunden zu stoßen, drastisch gesunken.“
Weber und Aktivistin Tanja Lederer haben für den 24.2.22 ein Gespräch avisiert, zu dem es dann ein Doku-Video geben soll. Wir werden also bald sehen, was im Rathaus an Kompetenz zur Konfliktbearbeitung verfügbar ist.