Gleisdorf: Betrachtungen #20

Gleisdorf und sein Fest der Privatmythologien. Was bin ich vom politischen Erwachen einer Mehrgenerationen-Community gerührt, in der etliche den 60. Geburtstag längst hinter sich haben, aber jetzt erst bemerken, daß Demokratie mit Eigenverantwortung zu tun hat, statt die Gemeinde und den Staat als Servic-Einrichtungen zu (be-) nutzen.

Putin läßt Grüßen! (Foto: Seereiter)

Daß diese Leute aktuell teilweise mehr in freien Erfindungen schwelgen, statt einen sachlich fundierten und kritischen Diskurs zu führen, kann ich verstehen. Seriöses politisches Engagement hat eine simple Bedingung (unter mehreren): Wissenserwerb. Das ist Arbeit und macht Mühe. Das kostet Zeit. Aber jetzt pressiert es diesen Leuten. Da ist keine Zeit für Genauigkeit. (Schon gar nicht, wenn man so in Feierlaune ist.)

Jüngstes Rührstück beim Gleidsorfer „Spaziergang“ am Sonntag, dem 9.12.2022: eine Frau verliest das anonymisierte Statement eines Polizisten. (Die Frage der Authentizität des Briefes bleibt in der Schwebe.) Der Absender und die vorlesende Frau sind beide gleichermaßen hinreißend unberührt von Fragen der Zeitgeschichte.

Ich mochte es erst gar nicht glauben, aber ein zentraler Satz des Briefes lautet Wort für Wort genau so: „Denn wir können nichts dafür, daß wir Befehle ausführen müssen, die uns selbst widerstreben.“ Das hieße bei unserem historischen Hintergrund eigentlich: höchste Alarmstufe.

Lichtgestalt Putin
Wolfgang Seereiter hat mir das Foto überlassen, auf dem wir nicht bloß die russische Flagge sehen, die eine schlichte Trikolore wäre: Weiß, Blau, Rot. Aber mit dem Doppeladler, dem russischen Wappen, paraphrasiert diese Fahne die Standarte des Präsidenten Rußlands. „Demokratie neu“, wie sie mir nun schon geraume Zeit in Gleisdorf empfohlen wird, hat demnach Vladimir Putin als Referenzgröße.

Seereiter erinnerte mich daran, daß solche Verbindungen schon über Jahre evident sind, wie zum Beispiel dieser Artikel vom Sommer 2016 illustriert: „Sputnik, FPÖ, Identitäre: Russisch-rechtes Rendezvous in Wien“ (Der Wien-Korrespondent des Staatssenders Sputnik war Obmann eines Wiener Vereins mit Kontakt zur extremen Rechten) [Quelle]

Eine der regen Gleisdorfer „Kickl-Hupen“ promotet Martin Rutter. Kickl selbst hat mehrfach demonstriert, daß ihm die Berührung mit Martin Sellner keine Sorgen bereitet. Die Neofaschistin Fide Veritas, welche sich auch gerne für Gleisdorf exponiert, zeigt klar, daß ihr kritische Diskurse mißfallen. Bei ihr klingt das so: „Die Fucktenchecker wollen nicht, dass das verbreitet wird, darum tu ich das jetzt hier…“

Als ob in diesem Land Informationen unveröffentlicht bleiben könnten. Wie gerne hier oft Probleme einfach dahinbehauptet werden, als deren Lösung man sich anbietet. Frau Veritas verbreitet auch solche Botschaften: „Sie kreieren eine neue Rasse Mensch!“

Siehe dazu unten: Postskriptum!

Die Sprachregelung ist bekannt und fällt ebenso unter Privatmythologien. Es gibt keine „verschiedenen menschlichen Rassen“. Es gibt optisch gut unterscheidbare Großgruppen. Innerhalb dieser Großgruppen sind die genetischen Unterschiede vielfältiger als zwischen diesen Großgruppen. Sie verstehen, was damit gemeint ist?

Das Gleisdorfer Corona-Party-Volk bleibt bisher bei der Sprachregelung „Spaziergänge“, wo von Protestmärschen und Kundgebungen zu reden ist. Gehen wir also ruhig davon aus, falls sich hier neue politische Kräfte formieren und etablieren, werden wir auch zu anderen Themen ihren Begriffen nicht trauen können. Was sie denken und was sie tun möchten, wird von dem bemäntelt, was sie sagen. Das ist eben zweierlei… Na bravo!

+) Vorlauf | Fortsetzung
+) Die Betrachtungen im Überblick

Postskriptum
Volk und Fahne… Die da, „das Volk“? Lustig! (Was jetzt? Demos oder Ethnos?) Ausgerechnet die antisemitisch Qanon-Partie mit ihrem Hang zur Frakturschrift, was eine völlig anachronistische Pose ergibt, waren noch nie „das Volk“, aber allemal der Mob. (Schlechte Grafik mit schwer lesbarer Typografie paßt ins Bild.)

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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