Gleisdorfs Bürgermeister Christoph Stark wandte sich kürzlich mit einem Statement an die Teilnehmenden der lokalen Protestmärsche, die von initiativer Seite aus euphemistisch „Spaziergänge“ genannt werden: „Seit Mitte November gehen Sie in unserer Stadt auf die Straße, um gegen Corona, gegen die Maßnahmen der Regierung, gegen die Impfung bzw. die Impfpflicht zu demonstrieren…“ [Quelle] Damit hatte ich aus dem Rathaus das erste formelle Statement politischer Natur erhalten.
Von Kulturreferent Karl Bauer hab ich erfahren können, daß man sich mindestens ÖVP-intern zur Sache besprochen hat und dabei beschlossen wurde, es sei nicht angebracht, sich vom Rathaus her inhaltlich in diese Vorgänge einzubringen.
Das leuchtet mir ein, denn es läßt den Ansichten der Zivilgesellschaft Raum; soweit es die Corona-Zusammenhänge angeht. In diesem Sinn verstand ich auch, was mir Wolfgang Weber, Obmann des Ausschusses für Stadtentwicklung und Wirtschaft, dargelegt hatte: man setzt jetzt auf Zeit. Es gibt ja erneut viel zu klären. (Die Auswirkungen der Omikron-Version auf eine ganze Bevölkerung sind in den Details noch zu wenig bekannt und müssen für neue Regelungen berücksichtigt werden.)
Haben wir einen Begriff der aktuellen Situation?
Allerdings frage ich laufend nach politischen Stellungnahmen zu den anderen Aspekten der Protestaktionen. Das Anfechten der Republik sowie Unterstellungen, dies sei eine „Diktatur“. Dazu die dubiose Schrittmacherei von Leuten im Spektrum zwischen Identitären und Putin-Fans etc.
Offenbar müssen wir unsere Begriffe von öffentlichem Raum, öffentlichem Diskurs, Demokratie und Republik überprüfen, neu klären. So zum Beispiel Bauer Richard Hubmann, der nun anmerkte: „Punkt 3 in Starks Stellungnahme muss heftig widersprochen werden.“
Das betrifft diese Passage: „Ihre Demonstrationen repräsentieren nicht die Mehrheit der Bevölkerung. Sehr, sehr viele Menschen in unserer Stadt, weit mehr als Sie hier versammeln, fühlen sich durch Ihr Verhalten nicht nur gestört, sondern auch in ihrer Freiheit eingeschränkt. Das ist nicht das Wesen der Demokratie.“
Hubmann dazu: „Die Mehrheit einer Bevölkerung demonstriert selten. Es ist meistens eine Gruppe, die mit ihren Standpunkten (noch) in der Minderheit ist, die halt das Mittel der Kundgebung / Demonstration wählt, um ihren Positionen Nachdruck zu verleihen. Das sich ein Teil der Bevölkerung ‚gestört‘ fühlt, versteht sich fast von selbst. Andererseits hat man als Veranstalterin einer Demo wohl das Interesse nicht nur ‚laut‘ zu sein, sondern auch neue AnhängerInnen zu gewinnen. Den Lärm der Andersdenkenden auszuhalten, gehört zur Demokratie.“
Ich meine, diese ganze Situation wäre nicht halb so brisant, wenn es mit der Kommunikation zwischen Staat (Politik & Verwaltung) und Zivilgesellschaft die letzten zehn, fünfzehn Jahre besser geklappt hätte. Ich erlebe jetzt schon lange und vielfältig, daß sich Politik und Verwaltung immer mehr gegen die Verständigung mit der Bevölkerung abschotten.
Ein starkes Indiz dafür aus jüngerer Vergangenheit sind die exorbitanten Inseratenbudgets der Regierung Kurz gewesen. Das läßt keinen anderen Schluß zu als diesen: Verkünden geht vor Dialog. Ich verstehe freilich, daß man bei den Mühen des Alltagsgeschäfts mitunter zu wenig Kraft und Nerven aufbringt, um mühsame Erörterungen durchzustehen; noch dazu, wo manche Menschen inhaltlich überhaupt nicht vorbereitet sind, sondern einfach nur ihre Wünsche und ihren Unmut abladen. Da müßten also beide Seiten Ideen entwickeln, wie man damit weiterkommt.
In Gleisdorf scheint mir das nicht aussichtslos, aber es ist vorerst noch unendlich mühsam. Die hiesige Unruhe macht auf jeden Fall deutlich, daß längst der Eindruck entstanden ist, über dem Rathaus schwebe die Losung „Das Einzige, was stört, sind die Bürgerinnen und Bürger“. Auch hier wird manches einfach von der Abteilung für Kultur und Marketing mit PR zugedeckt. Das ließe sich ändern, wenn auf beiden Seiten guter Wille bemerkbar würde.