Diesen Slogan konnte man wenigstens seit 2015 andauernd aus dieser oder jener Ecke hören: „Wir sind das Volk!“ Der Ruf ertönt vor allem, wo jemand Partikularinteressen legitimieren möchte und als Anliegen einer großen Gemeinschaft kostümiert. Die Parole wurzelt eigentlich in den Kräftespielen, welche zum Fall der Berliner Mauer (10.11.1989) geführt haben. Ich habe ein anderes Motto zu überbringen: Wir sind die Differenz!
Die laufenden Protestmärsche und Kundgebungen in Gleisdorf, euphemistisch als „Spaziergänge“ deklariert und im Übermaß mit dem Wort „Liebe“ behängt, waren einer der Anlässe für unsere spezielle Zusammenkunft. Ein anderer Anlaß ergab sich aus einer kleinen Kontroverse, die ich mit Künstlerin Ada Kada hatte.
Zwischen all dem lagen einige Verständigungsschritte, bei denen auch darüber zu reden war: Ist allgemein klar, daß sprechen handeln ist und daß es Gewalt durch Sprache gibt? Wird Sprache genutzt, um verdeckte Intentionen zu kaschieren? Was ist in einer Republik von politischen Ambitionen zu halten, die sich in den Straßen als Protestmärsche manifestieren, aber inhaltlich nicht deklariert werden?
Doch ein vorrangiges Diskussionsthema wurde uns vorerst die in Aussicht stehende Impfpflicht, welche im Februar 2022 kommen könnte; aber auch der augenblickliche Sonderlockdown für Ungeimpfte.
Der Konjunktiv zur Impfpflicht meint, daß die Regierung uns diese Regelung zwar angekündigt hat, aber derzeit völlig offen ist, ob a) die aktuelle Omikron-Version noch eine ausreichende und verfassungskonforme Begründung für diese Verpflichtung hergibt, ob b) die Behörde überhaupt gerüstet ist, das alles technisch und verwaltungsmäßig umzusetzen, ob schließlich c) so eine Pflicht durchsetzbar ist und kommende Einwände bearbeitet werden können. (Diskussionen in der Nachbarschaft geben mir den Eindruck, Deutschland sehe sich dazu eher nicht in der Lage.)
Wir trafen uns nun im Off-Space AT12, dem Atelier 12 in der Grazer Münzgrabenstraße, für ein Arbeitsgespräch zu solchen belangen. Eine sehr kontrastreiche Besetzung, da wir etwa zu einem der Schlüsselthemen – Impfung und Impfpflicht – ganz unterschiedliche Auffassungen haben.
Es hatte schon vorab Konsens gegeben: wir schauen nun nicht darauf, was uns trennt, sondern darauf, was wir teilen. Das Gespräch am 13. Jänner 2022 hatte mindestens einen Abschnitt, wo mir schien, es könnte doch an einem Dissens kippen, womöglich enden. Aber es kam anders und wir haben nächste Schritte in Arbeit. Wir?
Franz Wolfmayr und Wolfgang Seereiter sind mir von Gleisdorfer Entwicklungen her seit Jahren vertraut. Ada Kada hatte ich erst kürzlich in Graz getroffen, Klaus Messner war dazugekommen. Mit Goran Simunovic habe ich schon eine Weile via Facebook in Kontakt, nun saßen wir erstmals an einem gemeinsamen Tisch.
Zwei Frauen konnten diesen Termin gerade nicht wahrnehmen, sind aber involviert. Ilse Renner kenne ich nur namentlich von ihrer Arbeit bei Radio Helsinki. Mit Monika Lafer arbeite ich schon etliche Zeit am Projekt „Zeit.Raum“ in Gleisdorf zusammen.
Wir repräsentieren als Kreis zwei verschiedene Nachkriegsgenerationen und stehen – wie schon erwähnt – bezüglich der Impfung in verschiedenen Lagern. Eines hat sich bei diesem ersten breiteren Gespräch bestätigt: wo verschiedene Rechtsgüter kollidieren, entsteht mitunter ein Dilemma, dessen Widerspruch wir im Moment nicht auflösen können.
Würde das einen Dissens schaffen, der die Kommunikation beendet, hätten wir es vermasselt. Wenn wir über diese Schwelle nicht hinauskämen… Apropos! Seereiter war anschließend noch bei einem Treffen im Forum Stadtpark. Da ging es um den 5. Mai. Darüber wird auch noch zu sprechen sein.