Samstag, 1. Jänner 2022. Womit das Jahr beginnen? Zum Beispiel damit: Ada Kada ist eine Künstlerin, die in Graz einige markante Akzente gesetzt hat. Sie ist Impfpflichtgegnerin. Damit steht sie in einem anderen Lager als ich (mit meinen bisher drei Impfungen). Da derzeit maßgebliche Kreise Österreichs übereingekommen sind, daß es eine Impfflicht geben soll, ist Ada Kada erheblich unter Druck geraten, denn diese Verpflichtung, bei Weigerung mit Strafe belegt, wird höchstwahrscheinlich kommen.
Sie ist aber auch unter Druck, geraten, weil davor schon Kampagnen liefen, durch welche diese exponierte Minorität herabgewürdigt wurde. Nicht einmal exponiertes politisches Personal scheute sich, eine so dumme Behauptung zu verbreiten, die letzte Welle sei „Schuld der Impfgegner“. Als ob eine Pandemie auf solche Art sortiert werden könnte. (Mit Komplexitätsreduktion eine komplexe Situation bewältigen wollen? Lustig!)
Wer also für sich eine Impfung ausschließt und Abscheu davor empfindet, derlei Substanzen injiziert zu bekommen, hat es derzeit sehr schwer. Ich kann die Abscheu vor der Impfung nicht nachvollziehen, weil ich davon nicht geplagt werde. Aber einen anderen Aspekt dieser Situation verstehe ich sehr gut.
Die Praxis des Kontrastes
Ich habe, bedingt durch meinen Lebenswandel, einen verwüsteten Leib und bin körperlich nicht mehr im Originalzustand. Das kam durch Jahrzehnte auf dem Motorrad. Daher kenne ich auch die Intensivstation als Patient. In all diesen Jahren und nach all diesen Vorfällen war es für mich im Dialog mit medizinischen Fachkräften immer selbstverständlich: man erklärt mir, was für nötig gehalten wird, aber ich entscheide.
Ich hab jederzeit die Freiheit, eine Behandlung anzulehnen. Es ist auch vorgekommen, daß ich einen Arzt aus dem Krankenzimmer gewiesen hab, weil mir mißfiel, wie er mit mir umging. Wäre ich nun auf der Impfgegner-Seite, hätte ich aus diesem biographischen Hintergrund heraus eine sehr energische Position, unterfeuert von hinreichender Streitlust.
Das wird derzeit nicht schlagend, zumal ich auch nicht für andere, zum Beispiel für kleine Kinder, entscheiden muß, nur für mich. Ich kenne rationale Gründe, die in meinem Lager für das Impfen sprechen. Wer im anderen Lager emotionale Gründe hat, die dagegen sprechen, und rationale Gründe hat, die sich nicht durchsetzen lassen: Pech gehabt!
Aber ich verstehe die Haltung. Es betrifft eine immerwährend brisante Frage. Was schulde ich mir als Individuum und wie weit muß ich dem Gemeinwesen entgegenkommen? Das wird ohnehin stets neu verhandelt. Nur so kann eine Gesellschaft bestehen, die sich nicht als homogene Untertanenschicht erlebt.
Dazu kommt: es ließe sich aus verschiedenen Devianztheorien der Hinweis entnehmen, daß abweichendes Verhalten nicht von einer handelnden Person konstituiert wird, sondern durch die Reaktionen der Umgebung auf das Handeln dieser Person. Das ist mindestens als gedankliche Anregung nützlich.
Dissens
Ich hab mich an einigen Facebook-Postings von Ada Kada gestoßen und dort meine Einwände notiert. Vor dem Hintergrund, daß einige Leute wegen Kada-Postings den Kontakt zu ihr demonstrativ gelöscht haben. Daraus entspann sich ein kleiner Dialog zwischen uns, der vor allem eines deutlich werden ließ: ich muß nicht alle ihre Motive verstehen und wir können ruhig an etlichen Stellen Dissens haben. Einige ihrer Ansichten sind offenbar mit meinen unvereinbar.
Wenn wir einmal kurz beiseite schieben, was uns trennt, wird aber plötzlich allerhand sichtbar, worin wir Konsens haben. Nun hab ich die Freiheit, mich entweder auf das Trennende oder auf das Gemeinsame zu konzentrieren. Aber ihre Widerständigkeit! Aber ihre „Unvernunft“ bezüglich der Impfstoffe und ihrer Wirkung auf den Pandemieverlauf. Etc. Etc. Etc.
Wir sind beide keine pharmazeutischen oder epidemiologischen Fachkräfte. Wahrscheinlich liege ich richtig, sage ich mir. Warum? Weil ich das Vertrauen zu diesem Teil der Maßnahmen habe, die Risiken der Impfung akzeptabel finde. Muß Kada es deshalb auch so sehen? Muß sie natürlich nicht.
Ich fühle mich von den Impfungen nicht bedroht, wie ich auch von anderer Seite nicht bedroht werden kann. Bei ihr ist es eben anders. Ich stehe im Lager derer, die einige Rudel an Sach- und Machtpromotoren hinter sich haben, von denen die Impfung bevorzugt wird. Sie hat nicht annähernd so viele Sach- und Machtpromotoren auf ihrer Seite.
Also wissen wir nicht, ob das ausreicht, Ada Kada zu überstimmen, womöglich zu überwältigen. Ja, das ist ein Dilemma. Wenn es einfach wäre, müßten wir uns nicht den Kopf zerbrechen, wie mit all dem umgegangen werden soll. Wenn es einfach wäre, hätte die Politik längst entschieden und der Gesetzgeber eine klare Situation geschaffen.
Fundamente
Doch es gibt Punkte, die wir schon geklärt haben sollten. Ich berufe mich auf ein paar Kriterien, die ganz unabhängig von solchen Fachfragen Gewicht und Relevanz haben. Wer andere herabwürdigt, bedroht, wie auch immer unter Druck setzt, muß zurückgewiesen werden. Wer Andersdenkende in öffentlichen Diskursen als „Gegenmenschen“ markiert und beschimpft, muß zurückgewiesen werden.
Ich weiß nicht, was Ada Kada aufgebürdet werden soll, weil sie die Impfung eventuell verweigern will. Ich muß über Sanktionen nicht nachdenken, denn eines ist klar: Ich bin kein Polizist, kein Staatsanwalt und kein Richter. Niemand hat mir ein Mandat erteilt, Kada ein Tribunal zu bereiten.
Ich gehe noch weiter. Man ehrt sein Gegenüber in einem Streitgespräch, indem man ihn oder sie nicht zu belehren, nicht von der vorgefunden Meinung abzubringen versucht. Es ist ein Meinungsaustausch, kein Wettrennen mit K.-o.-System.
Darauf beruht unsere Demokratie. Antwortvielfalt als Bedingung für eine pluralistische Gesellschaft. Das macht den Unterschied zwischen Gleichen unter Gleichen einerseits, Vormund und Mündel andrerseits.
Um eine Stelle aus Krusches kleinem Handbuch bevorzugter Mantras zu zitieren: „Intelligenz ist die Fähigkeit, über einander widersprechenden Ansichten nicht den Verstand zu verlieren.“
+) Die Betrachtungen im Überblick
Postskriptum
Ich setze als bekannt voraus, daß zwei Rechtsgüter kollidieren können und in einem ordentlichen Verfahren geklärt wird, welches Rechtsgut gegenüber dem anderen Vorrang erhält. Wer sich dabei als „Sieger“ fühlt und Unterlegene solcher Kontroversen verhöhnt, hat unser Rechtssystem nicht verstanden.