Keine Belehrung

In den aktuellen Reaktionen auf meine Glossen zu rechtslastigen Angelegenheiten und Neofaschismus finde ich immer wieder den Hinweis: „Aber die, die es betrifft, werden dir nicht zuhören.“ „Aber die, die gemeint sind, lesen das nicht.“ Müssen sie auch nicht. Ein Mißverständnis! An diese Leute richte ich mich gar nicht.

Erstens wäre es eitel, sie belehren zu wollen. Zweitens wäre es aussichtslos. Weshalb? Ich stehe im Lager der Demokratie, weil ich mir davon was verspreche. Der Faschist steht im Lager der Herrenmenschen, weil er sich davon was verspricht. Der Mitläufer steht auf Trittbrettern herum, weil er sich davon was verspricht. Mit Hooligans kann ich nicht über Probleme durch Gewalttätigkeit debattieren, weil sie sich vom Zuschlagen etwas versprechen.

Menschen haben Konzepte und verfolgen ihre Interessen. Ich hab für meine Notizen zwei wesentliche Motive:
1.: Als Autor denke ich schreibend über die Welt nach und bemühe mich um taugliche Beschreibungen dessen, was ich dabei vorfinde.
2: Als Mitbürger und politisch anwesender Mensch wende ich mich an Leute, die extremen Akteurinnen und Akteuren entgegenstehen. Um sie zu ermutigen, daß sie ihre Sachkenntnis vertiefen und sich in die öffentlichen Diskurse einbringen.

Also nicht die Gefolgsleute der Menschenverachtung belehren wollen, sondern die Anhängerschaft der Menschenwürde begleiten, unterstützen. Ich stelle fest: sofern ich mich an ein Publikum wende, lesen genau die richtigen Leute meine Notizen.

Da wir sehr unterschiedliche Leben führen, ganz verschiedene Aufgaben haben, mag es nützlich sein, daß ich die letzten 40 Jahre viel Zeit darauf verwendet habe, mich mit den Konsequenzen des historischen Faschismus zu befassen und auch größeren Zusammenhängen nachzugehen.

Die Menschenverachtung und die Gewalttätigkeit, ob sie nun individuell gepflegt werden oder aus der Brutalisierung ganzer Gesellschaften resultieren, sind nicht bloß Domänen des Neofaschismus und anderer im Spektrum rechts angeordneter Grobheiten. Es reicht über 360 Grad. Mir ist kein aktuelles gesellschaftliches Konzept bekannt, das dagegen verläßlich gefeit wäre.

Ich schreibe diese Notizen als Teil einer regionalen Wissens- und Kulturarbeit. Ich wende mich, wenn überhaupt, an Menschen, denen Gewalttätigkeit und Menschenverachtung zuwider sind. Information, Orientierungshilfe, Ermutigung. Mögen Sie daraus Ihre eigenen Schlüsse ziehen!

+) Die Betrachtungen im Überblick

Postskriptum
Ich sehe mich dabei in der Tradition der griechischen Tragödie, die kein Tribunal war und keine Lehranstalt, sondern ein Angebot. Wem es gefiel, der oder die konnte über Schrecken und Mitgefühl eine Katharsis anstreben; so verstand es Aristoteles, so sehe ich es ebenfalls. Wer sich bloß unterhalten wollte, auch gut. Es gibt ja keine wirksame Belehrung gegen den eigenen Willen.

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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