Wer mit Euphemismen Politik macht, hat verdeckte Intentionen. Das spottet dem Prinzip der Res publica. In Gleisdorf boomt derzeit der Begriff „Liebe“, den politisch frisch erweckte Leute grade als jüngste Sau durchs Dorf treiben. Es ist bloß ein Feigenblatt. Hört man eine Weile zu, liest man mit, läßt sich das entschlüsseln. Dazu sind hier zwei Punkte zu notieren, denen die aktuelle Gleisdorfer Protestbewegung in Teilen widerspricht:
+) Ein Staat im Staat wäre das Ende der Republik.
+) Mit der Natur kann man nicht verhandeln.
Eine Exponentin der Gleisdorfer Wellness-Prosecco-Fraktionen, Sabine K., läßt uns via Social Media wissen: „Liebe verbindet und hat noch NIE getrennt.“ Michaela H. notierte bezüglich der Protestmärsche durch die Stadt: „…ich sehe viel, nur keine Aggressionen“.
Die Angriffslust in manchen Reden bei den Umzügen kann sie nicht als „Gewalt durch Sprache“ identifizieren. Wie auch? An ihrer Theke haben sich vaterländische Leute jahrelang die Republik schöngesoffen und einzelne ihrer Gäste sind im öffentlichen Leben Gleisdorfs nicht gerade durch Sanftmut aufgefallen.
Was das Wort Liebe alles verdecken muß
Der angesehene Wirt Gottfried Lagler, den ich seit Jahrzehnten kenne und mit dem ich in etlichen Kulturprojekten zusammengearbeitet hab, fiel mir all die Jahre noch nie damit auf, daß ihm danach gewesen wäre, über Liebe zu reden. Jetzt tut er es häufig. In seinem „Adventvideo“ auf Facebook betont er, da sei in Sachen Gewalt nichts in Gang. Wir werden sehen.
Ich hab schon verschiedentlich erwähnt, daß die SA der Nazi, ein paramilitärischer Verband, welcher vorzugsweise die eigenen Leute terrorisierte, in Österreich den Brauch etabliert hat, sich mit Fackeln und Kerzen vor den Privatwohnsitzen von Politikern zusammenzurotten. Eine klare Drohung nach dem Motto „Wir wissen, wo du wohnst“.
In Gleisdorf wurde das nicht nur vor dem Heim des Bürgermeisters praktiziert, auch seine Frau, eine Unternehmerin, durfte am Schaufenster ihres Geschäftes ablesen, daß ihr Mann angeblich korrupt sei und demissionieren solle. (Siehe dazu Glosse #8!)
Inzwischen beginnt auch bei uns der Affront, daß anonyme Leute medizinische Fachkräfte schikanieren. So jüngst bei der Ordination von Georg Kurtz. (Siehe dazu „Kurtz und bündig #3“!)
Wie ich mehrfach notiert habe, im Kriegsfall sind medizinische Einrichtungen und deren Personal gegen Angriffe per Konvention geschützt. Der Bruch dieser Konvention wird als Verbrechen gewertet. Aber unter den Protestierenden Gleisdorfs wollen uns manche die angeblich bestehende „Diktatur“ austreiben und ihre „Demokratie neu“ mit solchen Schritten schmackhaft machen: Andersdenkende unter Druck setzen. (Klar! Liebevoll nicht gewaltsam.)
Wohin weist das alles?
Meine bevorzugte Annahme handelt derzeit davon, daß eine Regierung konsequent erschüttert werden soll. Ein Regime, das sich seit dem ersten Lockdown durch eine Serie von Stümpereien und Kompetenzmängel selbst geschwächt hat.
Darin liegt einer der Gründe, warum es die Gleisdorfer Stadtregierung derzeit sehr schwer hat, jene Leute in den Protestzügen zu adressieren, die berechtigten Unmut hegen und plausible Kritik äußern. Das nützen Proponentinnen und Proponenten anderer politische Formationen für sich. Und der Gemeinderat verstummt fast.
Wenn diese Gleisdorfer Proteste Sinn ergeben sollen, muß sich daraus eine politische Kraft entwickeln, die geordnet ins Spiel kommt; eine Partei oder Bürgerinitiative, die ins demokratische Kräftespiel formell einsteigen kann. Kurzfassung: ich tippe auf MFG, denn die FPÖ ist schon etabliert. Den Identitären, Neofaschisten und Hitler-Nostalgikern bleibt dieser Weg verwehrt, die müssen da so mitschwimmen; und tun das auch.
Die Anwärter auf politische Beute
+) Die Bundes-FPÖ gewinnt auf alle Fälle. Momentan läuft über die Person Herbert Kickl und mit Kickl-Zitaten eine gewaltige Kampagne, die Kickl nichts kostet. Ein Geschenk des Schicksals für den Erregten, der öffentliche Zuwendung braucht wie Essen und Trinken.
+) Die lokale FPÖ könnte dadurch regional an Prestige gewinnen, wird aber weiter keinen Nutzen draus ziehen können, weil deren Team inhaltlich zu schwach ist. (Gab es in den letzten 30 Jahren irgendein Thema, zu dem diese Lokalformation Klasse und Kompetenz gezeigt hat?)
+) Die MFG wird bei uns vermutlich ankommen, sich etablieren, wird Boden und Publikum gewinnen, was lokal noch nicht viel bedeutet. Aber wenn man bedenkt, was ein Landtagsklub an Förderungen aus öffentlichen Geldern bezieht, und das sind Millionen, ist das nun wohl der Auftakt. (Siehe dazu Glosse #16!)
+) Es macht mich neugierig, ob Protestexponenten wie der Koch Gottfried Lagler oder der Bauer Walter Scharler sich solcherart politisch engagieren und dann etwa MFG-Ämter einnehmen werden.
+) Letztlich zielt die MFG Richtung Landtag. Ich bin sicher, die eine oder andere Person der Wellness-Prosecco-Fraktion wird sich dabei um Rang und Geld in dieser politischen Formation bemühen. (Gunnar Heinsohn: „Um Brot wird gebettelt, um Rang wird geschossen.“)
+) Was die Grünen in Gleisdorf an Protestpotential für sich gewinnen können, denn es geht letztlich ja um konkrete Probleme und mögliche Lösungen, vermag ich nicht einzuschätzen.
Altbestand
Was die Gleisdorfer SPÖ angeht, bleibe ich ratlos. Da gab es einst dieses historische „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will!“ [Quelle] Wo aber ist unsere Sozialdemokratie angelangt? Ich hab keine Ahnung.
Die ÖVP hat es – wie angedeutet – schwer. Da wäre etwa der Vorwurf „Lügenpresse“ zu entkräften, nachdem die Regierung Kurz enorme Summen an Inseratenbudgets verbraucht hat, um für sich gute Stimmung zu machen.
Da wäre die Verachtung für „Eliten“ zu mildern. Das gelingt schwer, wenn von gekauften Studien und Umfragen die Rede ist oder wenn man den Leuten Fälle wie jene von Christian Buchmann bis Christine Aschbacher erklären sollte.
Sie wissen sicher noch, was da alles schöngeredet und verharmlost wurde. Wie soll man Akzeptanz für wissenschaftliche Arbeit fördern, wenn es vom Landesrat bis zur Ministerin solche Ereignisse gab? Es waren Regierungen, die kürzlich noch Presse, Wissenschaft, Medien als fünfte Gewalt im Land und andere Kreise durch Malversationen diskreditiert haben. Wie soll man Vertrauen in politische Formationen fördern, wenn etwa grade zu Wahlkampfzwecken ein gesetzlich limitiertes Propaganda-Budget um Millionen (!) überzogen wird? Ich erspare mir und Ihnen weitere Details.
Wenn also berechtigte Kritik und verständlicher Unmut von den verdeckten Intentionen letztlich demokratiefeindlicher Akteurinnen und Akteure getrennt werden sollten, müßte wohl der Gemeinderat über die bisher sozialen und ökonomischen Argumente hinauskommen, müßte endlich in eine politische Debatte einsteigen können, bei der mindestens mit einem neuen politischen Lager zu rechnen ist, das sich als Partei etablieren wird. Und? Wann beginnt das?