(Beiträge und Fragen zu einer nächsten Kulturpolitik)
Musiker Oliver Mally hat mich zuletzt aus Darmstadt angerufen. Wir sind uns nun über das Setting im nächsten Abschnitt einig. Mally fährt seine Tor, macht enorme Strecken, spielt seine Konzerte, hat sehr stille Stunden und sehr emotionale Momente. Ich sitze hauptsächlich in meiner Höhle im Neandertal. (Jüngster Schwank im Lauf der Dinge: die letzten Belastungsmomente haben mir ein Rauschen in den Ohren beschert, das nun seit Wochen nicht mehr verebbt. Es wird wohl bleiben.)
Das bloß als kleine Skizze, in welchem Spannungsfeld wir uns als Duo bewegen. Mally macht quasi da draußen Feldforschung, teilnehmende Beobachtung, erkundet, was im Kulturbetrieb unter aktuellen Bedingungen machbar ist. Und zwar machbar, wenn man nicht Teil eines größeren Apparates ist.
Wir haben beide ein fast obsessives Verhältnis zu den Dimensionen von Selbstbestimmung. Das führt auch zu Kollisionen, wie nun einmal mehr klar geworden ist. Also: Mally, da draußen, on the road. Ich, im Neandertal, der ewige Sekretär mit seinem Hang zu Protokollen. Wir debattieren den Lauf der Dinge. Mally setzt es hauptsächlich auf Bühnen um, ich in der Schreibstube.
Wo wir stehen
Worin wir uns nun einig sind? Das Setting. Der nächste Abschnitt. Ich habe hier schon beschrieben, wie es kam, daß eben eine Ära geendet hat. Zwischen den Polen 1975 und 2025 wurde ich zu einem versierten Akteur dieses damals neuen soziokulturellen Phänomens, das von vielen Leuten „Initiativenszene“ genannt wird.
Im Zeitraster 2010-2015-2020 hat diese Ära ihre Ende gefunden. (Das Zeitfenster 2020 bis 2025 sehe ich als Transitions-Zone.) Dieser Status äußert sich vor allem in einer Menge Stillstand, Beharrungstendenzen, in einem Mangel an kulturpolitischen Diskursen, den ich da und dort in einem Mangel an intellektueller Selbstachtung begründet sehe.
Das muß nicht weiter beklagt werden, weil es vermutlich der genuine wie unvermeidliche Ausdruck eines radikalen Umbruchs ist. Corona hat diese Situation nicht getriggert, sondern bloß deren Kontraste verschärft. Der Umbruch selbst hat sich über ein konkretes Jahrzehnt in aller Ruhe entfaltet. Aber die Seuche hat das Publikumsverhalten verwandelt und die Veranstaltungs-Szene übern Haufen geworfen.
Fazit?
Umbruch, das heißt auch: wie gehe ich mit dem um, das jetzt noch nicht gedacht werden kann? Genau darin hab ich mit Mally Konsens. Wir gehen davon aus: die nächste Ära hat begonnen. Wir schreiten ins Ungewisse. Wir können auch ratlos sein, bleiben aber in Bewegung. Es ist eine Quest.
— [The Long Distance Howl] —
+) Das Motto der Origami Ninjas: „Wenn Dich das Leben zusammenfaltet, entfalte Dich!“
+) Der Referenzpunkt stammt von Toni Morrison: „This is precisely the time when artists go to work—not when everything is fine, but in times of dread. That’s our job!” (Aus: „No Place for Self-Pity, No Room for Fear“, 2015)
+) Krusche & Mally entlang der letzten 30 Jahre: „Kontinuitäten“ (Die prozeßhafte Arbeit)
+) Alle Fotos: Oliver Mally on the road