Was es wiegt, das hat’s XLII: Staatskunst

(Beiträge und Fragen zu einer nächsten Kulturpolitik)

Im günstigsten Fall wird jemand ein politisches Amt als Angelpunkt des Wechselspiels zwischen Staatskunst und Gemeinwesen verstehen. Das Amt (beziehungsweise das Mandat) ist einem Dienst am Staat gewidmet, dessen Staatsvolk bei uns die repräsentative Demokratie bevorzugt.

Im besten Fall beherrscht jemand das Metier, dem das Amt gewidmet ist. Dafür sollte eine gute Bezahlung verfügbar sein, damit die Verlockung zur Korruption gering bleibt. Dann bin ich aufgewacht. Schluß mit dem Träumen! Aber mir ist Menschenmaß schon recht und jene Art der Redlichkeit, die von einem Fließgleichgewicht zwischen dem Denken, Reden und Tun einer Person handelt.

Ich wünsch mir demnach in politischen Ämtern keine Heiligen. Doch redliche Leute, die mir keine verdeckten Intentionen zumuten, die mich nicht belügen. Das fände ich nicht bloß hinreichend, sondern höchst erfreulich.

Kompetenz…
…Redlichkeit und kommunikatives Verhalten. Träume ich schon wieder? Nein. Das geht doch! Und die Verwaltung? Na, die Verwaltung ist quasi die Hausmeisterei des Staates. Da sorgt man für allerhand Erledigungen, die man entweder aus eigenem Personalstand besetzt oder kompetente Leute engagiert. Zu viel verlangt? Sicher nicht.

Können wir uns einigen, daß es nicht Sache der Verwaltung ist, Inhalte festzulegen und Programmarbeit zu leisten? Finden wir Konsens? Die Verwaltung soll erledigen, was das Wechselspiel zwischen Politik (Staatskunst) und Gemeinwesen (Zivilgesellschaft) an Aufgaben generieret?

Und zwar soweit diese Aufgaben nicht in den verschiedenen Gemeinwesen von den Menschen selbst erledigt werden können. Dort fordert sowas eine kluge Balance zwischen Hauptamt und Ehrenamt, also zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit. Ach, ich träume schon wieder. Oder doch nicht?

Politik und Kulturpolitik
In Deutschland hat das Ende der Ära Merkel rund um die eben gehabten Wahlen eine Flut interessanter Debatten ausgelöst. Eines der großen Themen handelt von der Annahme, daß eine Volkspartei, die bei Wahlergebnissen unter 30 Prozent bleibt, keine ist; nämlich Volkspartei.

Diese zunehmende Erosion vertrauter politischer Kategorien kennen wir in Österreich ja auch. Dazu kommt der neuerliche politische Aufstieg einer besonderen politischen Kraft, der Nichtwähler, oder wie man auch sagt: Weißwähler. (Frauen in den Begriffen eingeschlossen.)

Das bedeutet, was wir aus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts kennen, was aus dem Kalten Krieg herausgewachsen ist, dieses politische Kräftespiel mit den wenigstens doppelt so alten Volksparteien, ist Geschichte.

Das andere große Thema, wie es mir in deutschen Debatten auffiel, handelt davon: Politiker sind meist keine Diener des Staates, sondern ihres Aufstiegs. Sie machen Karriere. Sie bedienen also ihre individuellen Partikularinteressen. Dafür sammeln sie laufend Mehrheiten, innerparteilich und in der Gesellschaft.

Sonst würden sie ihre Posten, Ressourcen und das damit verbundene Sozialprestige verlieren. Es ist ein Job, für den man Gemeinwesenorientierung als Duftmarke behauptet. Soweit diese Motive aus deutschen Debatten, zu denen wir sicher auch österreichische Entsprechungen finden können.

Was bedeutet das alles für eine Kulturpolitik auf der Höhe der Zeit? Es waren wir, ganz wesentlich meine Generation, von denen die alte Dichotomie „Hochkultur/Volkskultur“ aufgebrochen wurde und die Kategorie „Schmutz und Schund“ rehabilitiert wurde. Wir haben neue Genres, neue Settings, neue Debatten generiert.

Wo also stehen wir nun mit unseren kulturpolitischen Optionen und Forderungen? („Fair pay!“ kann doch nicht alles gewesen sein!) Wie lauten die? An welche Gegenüber können wir uns wenden? Verstehen die überhaupt, wovon wir reden? Oder gibt es eine stille Kumpanei, die über Staatsgrenzen hinweg eine Kulturpolitik simuliert, die es gar nicht gibt? Und wer ist „Wir“? Eine Menge Klärungsbedarf!

— [The Long Distance Howl] —

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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