(Beiträge und Fragen zu einer nächsten Kulturpolitik)
Einige Rückmeldungen zeigen mir, daß es sich herumgesprochen hat: ich stecke augenblicklich in einer Kontroverse, die mir Post von einem Anwalt eingebracht hat. Es ist ja nicht so, daß mich derlei kalt ließe. Aber selbst der Briefwechsel mit einem Juristen ist Diskurs.
Wenn ich nun an etlichen Stellen betont habe, mir fehle in der Steiermark seit über 20 Jahren ein öffentlicher kulturpolitischer Diskurs, dann ist das ja immerhin ein Anfang, auch wenn es vorerst ein privater Diskurs ist, was meint: er findet auf keiner Bühne statt, nicht im öffentlichen Raum.
Ich weiß schon, jetzt wird mich Mally wieder mahnen, weil ich ihn einmal gebeten habe, Schachtelsätze zu vermeiden. Ich erwähne Musiker Oliver Mally weil wir uns in allen Fragen unseres Berufes permanent austauschen. Wir sind uns einig, in Kontroversen muß man präzise sein, um die eigene Position nicht zu entkräften.
Es scheint einigen Menschen, die derzeit reagiert haben, ganz naheliegend, daß man als Künstler, wenn man unter Druck gerät, die Freiheit der Kunst geltend machen solle, Redefreiheit sowieso. Es ist überdies bekannt, daß ich mich als Intellektueller in der Tradition von Emile Zola sehe, der in einer großen Kontroverse den Staat öffentlich herausgefordert hat.
Voilà! Seien wir präzise!
Wir kennen seit der Antike die Empfehlung, Argumente zur Sache und Argumente zur Person unterscheiden zu wollen. Wir kennen außerdem die Praxis, daß Menschen ganz gerne auf Argumente zur Sache verzichten und die Ebene der Argumente zur Person betreten, um in einer Kontroverse Vorteile zu kassieren.
Dreht man die Empfehlung um, hat man Kriterien für Texte und Kritik. Wenn einem dabei Fehler passiern: blöd gelaufen! Interessanter ist dann die Überlegung, was es mit einer Freiheiten der Rede und der Kunst auf sich hat. Dazu habe ich schon mehrfach klar ausgedrückt: Die Freiheit der Kunst hat andere Zusammenhänge und andere Aufgaben als einen in Kontroversen freizustellen.
Das ist natürlich auch eine Frage des Kunstbegriffes, auf den man sich stützt. Ich muß darauf bestehen, daß die Kunst keine anderen Pflichten als die selbstgestellten hat. (Autonomie der Kunst!) Ich mißtraue einer „Kunst um zu…“ und glaube daher nicht daran, daß Kunst innerhalb der Gesellschaft diese oder jene Aufgaben hat, außer den Belangen der Kunst zu dienen.
Etwas plüschig formuliert: Kunst ist keine soziokulturelle Reparaturwerkstatt, um damit an gesellschaftlichen Problemen zu arbeiten, sondern ein primäres Aktionsfeld menschlicher Fähigkeit zu symbolischem Denken.
Damit meine ich, daß Kunstpraxis natürlich Kompetenzen liefert, mit denen man an sozialen und politischen Problemen arbeiten kann, aber das handelt von einem Rollenwechsel und Ebenenwechsel.
Was meint nun „Freiheit der Kunst“?
Auf meinem Kontinent bedeutet sie: absolut kein Tabu kann mich hindern, zu denken, was ich denken möchte. Ich akzeptiere auch kein Tabu zu sagen, was ich denke. Doch das bedeutet keine Freistellung von den möglichen Konsequenzen, wenn ich in Gemeinschaft damit auf Widerstand stoße, denn das ist ein anderer Kontext.
Sie verstehen den Unterschied? Jede Gemeinschaft gibt sich Regeln, Konventionen. Der Konsens darüber drückt sich unter anderem in ethischen Konzepten, in Gesetzestexten, aber auch in aktueller Rechtspraxis aus.
Es ist ganz banal und im Konfliktfall oft unvermeidlich, daß verschiedene Rechtsgüter kollidieren. Das bedeutet auch, ich kann durch mein Handeln erleben, daß Konventionen beziehungsweise Rechtsnormen verletzt wurden. Es steht mir frei, diese Rechtsnormen anzufechten, in Frage zu stellen, wahlweise die Konsequenzen der Regelverletzung zu verhandeln.
Das ist aber durch die Annahme einer Freiheit der Kunst noch nicht gedeckt. Die macht mir bloß den Denkraum auf, aus dem heraus ich zum Beispiel einen Diskurs fordern und eine Kontroverse riskieren kann. Alles andere wäre der Anspruch einer Sonderstellung Kunstschaffender, in der Art von Priesterschaft, die zwar manche Leute gerne behaupten, an die ich aber nicht glaube.
Um also das beliebte „Beuyseln“ zu vermeiden, eins schlampiges Zitieren von Beuys im fröhlichen Vermischen von Kategorien, halte ich vorzugsweise auseinander: es ist kein künstlerischer Akt, wenn ich einen kulturpolitischen Diskurs loszutreten versuche, wäre das nur dann, wenn ich es entsprechend konzeptionell begründen würde.
Ich handle dabei aber als politisch anwesender Bürger. Das ist eine andere Position. Es ist Teil meiner Freiheit in der Kunst, daß dieser spezielle Aspekt einer Conditio humana – die Fähigkeit zur Kunstpraxis – absolut keinem anderen Zweck unterworfen werden kann, als meinem Verhältnis zur Kunst zu dienen.
Wenn ich hinaus gehe und in öffentliche Diskurse eintrete, halte ich mich in einer anderen Sphäre auf, die von anderen Regeln geprägt ist. Genau das, dieser Unterschied, macht ja den besonderen Wert des Lebens in der Kunst aus.
— [The Long Distance Howl] —