(Beiträge und Fragen zu einer nächsten Kulturpolitik)
Ich hab in der vorigen Glosse an die „Konferenz der Provinz“ erinnert, mit der ich im März 1997 eine Arbeitsweise eingeführt hab, die dem Prinzip folgte, daß Vernetzung kein Inhalt, sondern ein Werkzeug ist.
Dazu erschienen mir kontinuierliche Arbeitsgespräche sinnvoll, die an wechselnden Orten stattfanden. Ich hab damals „Zehn vorläufige Punkte“ formuliert, die ein Fazit aus vorherigen Arbeitssituationen waren. Die Erstfassung dieser Punkte habe im Mai 97 rausgeschickt, im Online-Archiv ist die Fassung Stand: März 98 erhalten: [Quelle]
Zehn vorläufige Punkte
1) Kulturschaffende sollen kontinuierlich inhaltlich arbeiten und einen kritischen Diskurs pflegen, um ihre eigenen Bedingungen laufend zu klären und folglich eine effiziente Lobby bilden zu können. Sie sollen ihr fachliches und sachliches Know how ständig verbessern.
2) Kulturschaffende sollen erreichen, daß kulturpolitische Funktionsträger aller Fraktionen und Leute aus der Verwaltung Graz gelegentlich verlassen, um Orte, Bedingungen, Gegebenheiten, somit die handelnden Personen in ihrem Arbeitsumfeld kennenzulernen. Das gleiche wäre von Medienleuten zu erwarten. Das gleiche wäre von unseren Kolleginnen und Kollegen in der Branche zu erwarten. Das bedingt aber auch, daß wir uns prinzipiell selbst zuständig fühlen, unsere Anliegen zu formulieren … was eine institutionalisierte Interessensvertretung in keiner Weise ausschließt. Im Gegenteil. Eine effiziente Lobby im „Zentrum“ Graz muß Kulturschaffende unterstützen, praktikable politische Forderungen anzubringen und durchzusetzen.
3) Kulturschaffende sollen erreichen, daß sie nicht bloß mit Subventionsansuchen in Graz vorsprechen, sondern mit politischen Funktionstragenden (möglichst aller Fraktionen) und Leuten aus der Verwaltung kontinuierliche Arbeitstreffen haben, bei denen inhaltlich anders gearbeitet werden kann als bloß Resolutionen auszutauschen. Das sollte auch für uns Initiativenleute Anlaß und Gelegenheit sein, uns regelmäßig zu treffen, auszutauschen. Wir möchten, daß die Angesprochenen zu uns kommen, nicht immer nur wir zu ihnen. So ließe sich unser Verhältnis neu definieren.
4) Die realen Standortnachteile (in der „Provinz“, also abseits der Zentren) müssen durch eine angemessene und zeitgemäße Informations- und Kommunikationsstruktur so gut es geht ausgeglichen werden. Die Konzepte dafür müssen wir selbst erarbeiten und damit auf kooperative „Zentrumsleute“ treffen.
5) Verbandsgründungen, Lagerbildung und Lagerabgrenzung (wie wir sie kennen) sind antiquierte Attitüden, die unsere Gesellschaft im 19. Jahrhundert entworfen und erprobt hat. Diese Art der „Wir-Bildung“ hat etliche Vorteile, weshalb sie sicher noch lange zentraler Bestandteil üblicher Organisationsformen sein wird. Diese Art der „Wir-Bildung“ hat etliche gravierende Nachteile, weshalb sie jedenfalls nicht das Zeug zur Utopie, zum zukunftsweisenden Modell hat. Die Konferenz der Provinz soll demnach bestehende Verbände nicht konkurrenzieren, sondern ein komplementäres Instrument, vor allem eine Arbeitsplattform sein. Eine Plattform, die durch Kontinuität zu einem neu gearteten Wir-Verständnis führen kann.
6) Die Konferenz der Provinz ist auch Labor. Sie soll Klärung bringen, ob folgende These etwas taugt: Eine zeitgemäße, vielleicht zukunftsweisende Wir-Konstruktion könnte sich – statt auf klassische Institution – auf die Qualitäten * Kommunikationsverhalten, * Information und * Transparenz stützen. Diese Qualitäten sollten sich als konstituierende Elemente bewähren können. Die Konferenz der Provinz soll Erfahrungen bringen, welche Wege sich mit solchem Ansatz gehen lassen und ob so ein Strukturangebot tatsächlich geeignet ist, Kooperation und mögliche Lobbybildung unter Kulturschaffenden zu fördern.
7) In diesem Sinne muß auch klar sein, daß es nur die Gesellschaft, Kultur und Kulturpolitik eines ganzen Landes geben kann. (Differenzierte Betrachtung sollte nicht mit Fragmentierung verwechselt werden.) Ein wünschenswertes kulturelles Klima kann nicht etwa von einer „Kultur des Zentrums“ und einer „Kultur der Peripherie“ handeln. Deshalb muß die Konferenz der Provinz entweder beitragen, das alte Denkmodell „Zentrum – Peripherie“ neu zu deuten oder überhaupt zu suspendieren, da das ein Denkmodell der Dampfmaschinen-Moderne ist. Hoffnungslos unzeitgemäß.
8) Die Konferenz der Provinz hat eine offene Konferenz zu sein. Das bedeutet: es gibt keine festgeschriebene Mitgliedschaft und keine Zugangsbeschränkungen. Entscheidendes Plenum der Konferenz der Provinz sind die jeweils anwesenden Leute. Da der Kreis der Anwesenden stark fluktuiert, ist es notwendig, die Konferenz zu dokumentieren.
9) Die Dokumentation der Konferenz der Provinz erfolgt über ihre Protokolle. Diese Protokolle sind ein allgemein zugänglicher Informationsverteiler und enthalten nur, was die teilnehmenden Personen in diesen Verteiler einspeisen. Die Protokolle können frei bezogen werden. Die Informationsevidenz der Konferenz wird auf Printebene ebenso hergestellt wie auf Basis elektronischer Medien.
10) Die Konferenz der Provinz darf nicht ihrerseits „Zentrum“ werden. Deshalb wurde sie auch nicht im Raum Gleisdorf verankert (woher sie ausgegangen ist), sondern „wandert“ durchs Land, wobei jedesmal eine andere Kulturinitiative gastgebend agiert … und so auch Gelegenheit findet, sich der Branche, den Medien, der Politik und der Verwaltung ins Blickfeld zu rücken. Außerdem ist sie dadurch uns selbst Anlaß, die Orte und Räume unserer Kolleginnen und Kollegen quer durchs Land kennenzulernen.
— [The Long Distance Howl] —
Hintergrund
Ich hab in einer Reihe von Glossen skizziert, wie sich aus den 1970er Jahren heraus formiert hat, was wir schließlich „Die Initiativenszene“ nannten, was damals eine soziokulturelle Innovation ergab.