Was es wiegt, das hat’s XXIV: Verdeckte Intentionen

(Beiträge und Fragen zu einer nächsten Kulturpolitik)

Ich hab nun innerhalb von sieben Tagen zwei Touren mit Marketing-Fachmann Norbert Gall absolviert. Das sind so kleine „rollende Konferenzen“, in denen wir intensiv einen Strauß an Themen durchnehmen. Er ist ein Großstadtmensch (Wien), ich bin ein Provinzler. Er hat bisher für Konzerne und KMU gearbeitet, ich bin Freelancer des Kulturbetriebs. Überdies trennen uns rund 20 Jahre Lebenszeit. Das ist also eine gute Kontrast-Situation, die einige Aussagekraft hervorbringt, wenn wir bei Themen Schnittpunkte finde.

Norbert Gall

Ich hab hier in letzter Zeit schon öfter betont: „Menschen. Haben. Interessen!“ Norbert Gall hat mir auf unserer Tour vom Wesen der „Hidden Agenda“ erzählt, was etwa den „verdeckten Intentionen“ entspricht, über die ich mich gelegentlich auslasse. (Das Gift in jeder Gemeinsamkeit.)

Die Gall’sche Erläuterung hat mir freilich klar gemacht, daß ich diese Haltung nicht als eine Art Betrugsversuch deuten sollte, denn das greift zu kurz, um dieses Phänomen passend einsortieren zu können. Es ist eine Strategie, die ob ihrer enormen Verbreitung sogar in den Kanon guter Sitten eingereiht werden könnte. Sitten sind Verhaltensweisen, die sich aus dem praktischen Gebrauch herleiten; das Wort „Gebräuche“ werde ich ja nicht erläutern müssen.

Der Pakt, ein loser Vertrag
Ich habe es, obwohl schon sehr lange kein Jüngling mehr, bis heute noch nicht so betrachtet. Ich erinnere mich gut, daß ich in Projekten, wo ich eingefordert habe, verdeckte Intentionen zu bannen, stets dem Verdacht der Heuchelei ausgeliefert worden bin. Das hätte mich stutzig machen müssen, doch ich hab es nicht passend entschlüsselt.

Wenn ich in einer konkreten Situation danach frage, Klarheit einfordere, ereignet sich meist die populärste Strategie-Version: ich erlebe die Vorhaltung, man erhebe sich auf arrogante Art über andere, habe selber ja auch verdeckte Intentionen, wolle sich in so einem Moment als moralisch überlegen aufspielen.

Moral? Geht es ein paar Nummern kleiner? Ein Vorhaben, Vereinbarungen, Paktfähigkeit… Machen, was man gesagt hat. Wahlweise die Notwenigkeit einen neuen Modus zu verhandeln. Was ist daran so schwierig? Ich sage: „Mir gelingt nicht, was ich zugesagt habe. Ich möchte eine andere Vereinbarung treffen.“

Meine Erfahrung besagt: Das, genau das, ist mir noch nie ausgeschlagen worden. Der Hauptgrund dafür scheint mir ganz simpel. Wenn ich in einer Kooperation meinen Leuten diese Option verwehre, zwinge ich sie zum Stümpern, Tricksen, zum Herumlavieren. So beschädige ich das Projekt, an dem ich beteiligt bin. Eine elegante Art, sich ins eigene Knie zu schießen. Das ist im Grunde dumm.

Sagt jemand „Fehlerkultur“, dann meint das doch bloß: wenn was schiefläuft, reden wir darüber, was nun anders gemacht werden könnte, korrigieren wir den Kurs. Kurskorrektur sollte allen plausibel erscheinen, die in einem gemeinsamen Boot sitzen, und sei es bloß für wenige Wochen.

Wir Automobil-Paparazzi…

Es geht um Paktfähigkeit. Haben die alten Römer das Prinzip „Pacta sunt servanda“ erdacht und etabliert, weil sie alle Philantropen waren? Nein. Sie waren Pragmatiker und unterschieden zwischen formellen und daher klagbaren Verträgen, die man „contractus“ nannte, und dem formlosen, daher unklagbarer Vertrag: „pactum“.

Das Formlose brauchte eine Konvention, um etwas zu taugen, also diese ethische Verpflichtung: „Verträge müssen eingehalten werden“. Nur wenn das zur anerkannten Sitte wird, taugt der Pakt, weil ich – im Gegensatz zum Kontrakt – für seine Einhaltung auf viel guten Willen meiner Gegenüber angewiesen bin.

Kulturschock
Ich habe Gall bezüglich der Geschäftswelt befragt, denn er kennt durch seinem Berufsweg verschiedene Dimensionen und Preisklassen, in denen er als Marketing-Fachmann bisher tätig war. „Du glaubst gar nicht, wer alles mein Freund sein wollte, als ich über ein Budget von acht Millionen Euro verfügt hab.“

Winken Sie nicht ab, während Sie „Eh klar!“ murmeln. Der Punkt ist, daß sich diese Kräftespiele in allen Genres und Metiers entfalten, ganz egal, mit welchem Betrag das Budget notiert wird. Oder noch genauer: wir handeln mit ganz verschiedenen Währungen, mit materiellen und immateriellen Währungen.

Wenn ich die Quelle solcher Ressourcen bin und das redet sich im Kulturbetrieb herum, hab ich über Nacht gleich ein Rudel Leute auf meinen Trittbrettern, die gratis mitzufahren gedenken. Das ist etwas, worunter unser Kulturbetrieb enorm leidet und was ganz merkwürdige Allianzen hervorbringt. Weshalb hält es sich so hartnäckig?

Gall betont als ein Hauptereignis der Hidden Agenda die Frage „Was bringt mich nach oben?“ Dieser Priorität sei bei vielen Menschen jede andere nachgeordnet. Das werde in Plaudereien natürlich von genau jenen geleugnet, die ihr Tun so ausrichten. Das könne man nun als Heuchelei verurteilen, man könne es aber auch als das Verfolgen einer effizienten Strategie loben.

Wenn ich das als Ausdruck zweier grundverschiedener Kulturen deute und diesbezügliche Kollisionen als Manifestation eines Kulturschocks verstehe, bekommt das größer Bild einen anderen Kontrast.

Daraus folgt, daß gemäß der einen Kultur Deals nur halten, solange sie den eigenen Interessen dienen. Oder wie Gall sagt: „Jene, die nach oben schwimmen, sind nicht jene, die sich an Deals halten.“ Das heißt, für sie sind andere Menschen keine Partnerinnen und Partner, sondern Ressourcen, die zu nutzen, ja: auszubeuten, klug und opportun ist. Versiegt der Nutzen, endet die Gemeinsamkeit.

Es ist völlig nutzlos, sich darüber zu empören. Es braucht Strategien, sich dagegen abzusichern, falls man sich einer anderen Kultur zugehörig fühlt. Sie werden nun kaum überrascht sein, wenn ich Ihnen zuflüstere: das läßt sich ganz problemlos und schlüssig auch auf private Beziehungen zwischen verliebten Menschen übertragen, auf Familienverbände etc.

— [The Long Distance Howl] —

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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