(Beiträge und Fragen zu einer nächsten Kulturpolitik)
Ich hab in der vorigen Glosse zu diesem Thema von einer perfekten Welt geträumt und von einem idealtypischen Gleisdorf. In der realen oststeirischen Kleinstadt kann man sich bezüglich kulturpolitischer Aufgaben gut orientieren, wenn man die drei Bereiche, von denen die Rede war, als Grobraster der Betrachtung nutzt.
Bereich I
Die städtischen Häuser. Das Forum Kloster, das Museum im Rathaus, die Musikschule, die Bücherei, der Kulturkeller etc., was also im eigentlichen Sinn „staatsnahe“ Einrichtungen sind, die langfristig mit Ressourcen ausgestattet werden müssen. Nehmen wir an, für deren inhaltliche Leitung haben sich jeweils einzelne Kräfte über Jahre bewährt und etabliert. Sie sollten in der Programmentwickelung autonom sein, ihrem Haus entsprechend Akzente setzen und sich untereinander über Themenschwerpunkte austauschen. Sie würden dem Kulturausschuß Rechenschaft ablegen.
Bereich II
Tradierte Formationen, wie die exzellente Blaskapelle, die Faschingsgilde mit ihrem alljährlichen Programm, die Theatertruppe, also Ensembles, von denen die Stadt über Jahrzehnte belebt wurde und die im Gemeinwesen unter anderem auch eine wichtige soziale Bedeutung haben. Für diese Kulturinitiativen ist ein erhöhter Aufwand und ein entsprechendes Organisationsniveau nötig, was eine laufenden Kooperation mit der Kommune naheleget, obwohl das private Initiativen sind. (Dem gegenüber haben sich einige private Vorhaben mit jüngeren Konzepten und größerem Aufwand nicht etablieren können.)
Bereich III
Der dritte wesentliche Bereich bildet sich aus einzelnen Personen und aus kleinen Gruppen, davon manche nur temporär tätig, manche mittel- bis langfristig. Formationen, die auf diese oder jene Art etwas zum öffentlichen geistigen Leben der Stadt beitragen. Kultur- und Wissensarbeit, Kunstpraxis, aber auch Anregungen und Inputs aus benachbarten Feldern, etwa aus dem Sozialbereich, wo laufend an relevanten Inhalten des Gemeinwesens gearbeitet wird.
Dazu kommt, daß sich immer wieder Geschäftsleute zu kulturellen Akzenten aufraffen, materielle und immaterielle Ressourcen einbringen. In diesem Bereich sind eigenwillige und vor allem selbstgewählte Regeln (Autonomie) gewichtiger als im Bereich II, in dem meist mehr Menschen länger auf ein Konzept verpflichtet bleiben.
Kontraste
Auch hier zählt, daß diese Bereiche ihre Kontraste brauchen und daß sie zueinander nicht hierarchisch, sondern komplementär angeordnet werden sollen. Wo sich allfällige Kollisionen ergeben, läßt sich das vor allem mit einer sachkundigen und klugen Politik mildern. Eine Politik, durch die Menschen nicht gegängelt und den Wünschen der Verwaltung ausgeliefert werden, sondern mit Eigenverantwortung und adäquaten Kommunikationsbedingungen positive Erfahrungen machen.
Soziale Erfahrungsräume
Das wäre zugleich eine unverzichtbare Quelle sozialer Erfahrungen, die jeder Ort dringend braucht, wo die alten Bindungen gelöst wurden und die tradierten sozialen Gemeinschaftsformen erodiert sind. Ein Beispiel. Ich erinnere mich gut, es ist mehr als 20 Jahre her, daß ein erfahrener Notarzt mir erzählte, man habe im Bezirk nicht genug freiwillige Rotkreuzleute, um alle verfügbaren Rettungswagen mit Mannschaften zu besetzen.
Es lassen sich weitere Beispiele finden, wo der Gemeinsinn gegenüber dem Hang zum Eigennutz abgestürzt ist. Wenn das Kulturvölkchen zum Beispiel über den „Mythos Solidarität“ solche Zustände quer durchs Land bemäntelt, statt zu zeigen und zu bearbeiten was der Fall ist, macht sich dieser Sektor zum Teil einer wachsenden Korruption unserer Begriffe und Zustände, in der ich kuriose Formen verdeckter Komplizenschaft entdecke.
Wir würden im idealtypischen Gleisdorf von der Zivilgesellschaft her solche Entwicklungen ablehnen, von der Politik erwarten, daß in ihren Reihen die ausgegebenen Losungen auch so gemeint sind, daß ich politisches Personal beim Wort nehmen darf. Wir würden nicht nur erwarten, sondern auch deutlich fordern, daß die Verwaltung solcher Klarheit dient.
— [The Long Distance Howl] —