(Beiträge und Fragen zu einer nächsten Kulturpolitik)
Die Glosse „XII: Was macht den Künstler aus?“ (Vorlauf!) endete mit der Passage „Aber wie wissen wir denn überhaupt, was ein Kunstwerk ist und was nicht? Eine populäre Ansicht besagt, Kunst sei das, was Leute, die etwas von Kunst verstehen, für Kunst halten…“
Das ist kein Scherz, sondern eine populäre Auffassung. Eigentlich kennen wir sie seit der Antike mit all den Debatten rund um die Frage, was denn nun Kunst sei und was nicht. Eine der Positionen besagt, nur das sei Kunst, was von Leuten von erlesener Kennerschaft (Experten) als solche ausgewiesen werde. Die Gegenposition bevorzugt das, was den breiten Publikumsgeschmack treffe, da fühle man sich auf kein Expertenwissen angewiesen.
Sie ahnen schon, in der Sache kann man keine Wahrheiten herstellen, indem man Widersprüche eliminiert. Nachdem solche Diskussionen seit über zweitausend Jahren in Texten überliefert sind, können wir uns vielleicht einigen: es gilt Antwortvielfalt. Es wird laufend neu verhandelt, was wir für Kunst halten und was nicht.
Also was nun?
Es gibt einige Auffassungen, die ich zurückweise. Dazu ist es unverzichtbar, meinen eigenen Standpunkt darzulegen, denn sonst wäre der Einwand anderen gegenüber bloß Gezänk. Ich bevorzuge es, die Kunst für etwas Transzendentes zu halten und Kunstpraxis nur daran zu orientieren, was nach Regeln der Kunst und mit Mitteln der Kunst machbar ist, was in all dem auch handwerkliche Kompetenz zeigt.
Ich kann zum Beispiel nichts damit anfangen, Formen der Sozialarbeit für Kunstpraxis zu halten. Ich brauche die Kunst für mein politisches Engagement, für meine aktive Anwesenheit als Staatsbürger, nicht. Ich mißtraue allen Form der „Kunst, um zu…“, welche Kunst sein möchten. Dieses Instrumentalisieren von künstlerischen schafft nach meiner Auffassung andere Genres.
Wer zur eigenen Erbauung künstlerische tätig ist, in der Hobby-Liga künstlerische Mittel nutzt, tut etwas Gutes für sich, eventuell auch für die eigenen Community, aber Gegenwartskunst ist etwas anderes.
Expertenurteil oder Massengeschmack?
Ich gehe davon aus, daß jeder Mensch kulturelle und spirituelle Bedürfnisse hat, die je nach Lebensbedingungen und individuellem Geschmack so oder so gelebt werden. Es gibt keine Notwendigkeit, all das einem Kunstdiskurs zu unterwerfen. Wer aber im öffentlichen Kulturbetrieb reüssieren möchte, wird in die Lage kommen, sich Diskursen stellen zu müssen.
Wenn also die Kunst transzendent ist, die Kunstwerke sind es nicht. Daher können wir die Qualität von Arbeiten verhandeln und darüber spekulieren, was sie über ihren Ausdruck an symbolischem Denken für plausible Verbindungen zum Transzendenten haben. Damit meine ich: was taugt ein Werk für unsere Wahrnehmung, andrerseits: was taugt es in seiner künstlerischen Bedeutung? Sinnliche Erfahrung und Transzendenz…
Wir können über Ergebnisse unserer Wahrnehmung (Aisthesis = Ästhetik) debattieren. Wir können dabei rationale Inhalte (Regeln der Kunst) einbeziehen, müssen es aber nicht. Je nachdem, was wir klären wollen…
Da wir ohnehin keinesfalls bloß in Worten, sondern auch in Bildern und in Emotionen denken, ist so eine Gemengelage naheliegend. Ich entscheide für mich, worauf ich den Fokus setzen mag. Die Beschreibung eines Gefühls ist nicht das Gefühl. Da entstehen Semantik-Fragen. Die Befassung mit Kunst und Kunstwerken bleibt eine Einlassung auf das Uneindeutige, das Mehrdeutige, das Widersprüchliche. Genau das ist eine Qualität dieses Genres.
Wer dagegen gerne aufräumt, ordnet, Zwischentöne zum Schweigen bringt und wasserdichte Klarheiten bevorzugt, kann sich auf hundert anderen Gebieten austoben, die Befassung mit Kunst dient solchen Obsessionen nicht. Sie erbringt andre Effekte.
Darin liegt eine der großen Bedeutungen von Kunst. Genau deshalb, so vermute ich, hat etwa Soziologe Niklas Luhman bei seinem bedeutenden Werk über die Gesellschaft das Thema Kunst berücksichtigt. Nicht aus persönlicher Passion, sondern weil ihm schien, daß es unausweichlich sei, dieses Thema zu behandeln.
Zitat Luhmann: „Und daß überhaupt von Kunst die Rede ist, liegt nicht an besonderen Neigungen des Verfassers für diesen Gegenstand, sondern an der Annahme, daß eine auf Universalität abzielende Gesellschaftstheorie nicht ignorieren kann, daß es Kunst gibt.“ („Die Kunst der Gesellschaft“)
Das finde ich hinreißend nüchtern! Kein esoterisches Herumschwadronieren. Keine Posieren in geflüsterter Bedeutungsschwere, kein verhaltensoriginelles Gehampel. Wohltuende Klarheit als Ausgangspunkt. Kunst ist wichtig. Weshalb? Weil sich Menschen seit Jahrzehntausenden damit befassen. Basta!
Geht es etwas genauer?
Freilich! Ich war vorhin bei zwei wesentlichen Optionen: sinnliche Wahrnehmung (Ästhetik) und Diskurs (Regeln der Kunst). Jemand wie ich kombiniert diese zwei Möglichkeiten gerne, um ein Werk einzuschätzen. Man muß das aber nicht tun. Wer sagt: „Dies gefällt mir und jenes nicht!“ hat immer recht. Für sich. Will man es nach außen vertreten, vor allem, wenn einem ein Werk sehr mißfällt, denn gilt aber unbedingt: „Nennen Sie Ihre Gründe!“ [Fortsetzung]
— [The Long Distance Howl] —