Wer von Österreich aus anderen zuruft, sie mögen „nach Hause gehen“ und dort „für ihr Land kämpfen“, wirft damit eine Reihe interessanter Fragen auf. Laut Geschichtsschreibung stehen Buben ab dem 15. Lebensjahr im „kampffähigen Alter“. Woher kommt nun das Bild vom „wilden Hund“, der jede Bedrohung notfalls mit Waffengewalt beantwortet?
Da ist erst einmal sehr viel Ideologie und Propaganda, aus denen man ein paar realistischere Bilder vom Mannsein herausschaufeln muß. Publizist Peter Scholl-Latour sagt von sich, daß er von Krieg eine Menge verstehen würde. (Das bestätigt seine Biographie.)
Von Scholl-Latour habe ich den Hinweis, daß auf acht Soldaten „nur ein richtiger Kämpfer“ komme. Diese Art des „soldatischen Mannes“ ist also kein Standard. In meiner Militärzeit waren mir bei Mannschaften und Kader keine Leute aufgefallen, die ich für „wilde Hunde“ gehalten hätte. Aber vielleicht sieht man es ihnen nicht an.
Zu jener Zeit hatte ich allerdings längst authentische Eindrücke, was man darunter verstehen könnte und wie so ein Typ auftritt. Durch meinen Vater. Eisernes Kreuz. Nahkampfspange. Goldenes Verwundetenabzeichen.
So sah auch sein Körper aus. Verwüstet. Sein Wesen war davon geprägt. Er lebte mit Dämonen, die in seinen letzten Tagen über ihn herfielen. Da ich sein Sterben begleitet hab, ist mir erinnerlich, wie er in diese Unterwelt zurückgeglitten ist und was es mit ihm gemacht hat. Hätte man ihm das alles über Jahrzehnte angesehen? Nein.
Als erwachsener Mann hab ich auf dem Balkan Gesprächsmöglichkeiten mit Menschen gesucht, die Kriegserfahrungen haben. Ich wollte vorankommen, das zu entschlüsseln, was ich als Kind erfahren hab, ohne es damals dechiffrieren und verstehen zu können, wobei mir später mein Interesse für unsere Geschichte natürlich etliche Denkanstöße bot. Aber die reale soziale Begegnung mit konkreten Menschen kann dadurch nicht ersetzt werden.
Meinen Vater hatten seine Kampferfahrungen in diesen Dingen eher schweigsam gemacht. So erlebte ich später auch jene Männer, die in Kampfeinsätzen gewesen waren. Keine großen Sprüche, keine großen Gesten. Einen davon, weit jünger als ich, habe ich gefragt: „Wie schafft man das denn überhaupt, rauszugehen, den Feindkontakt zu riskieren, in ein Feuergefecht zu rennen.“
Der Mann, in den 1990ern Mitglied eine Rebellentruppe, sagt etwas ganz Unspektakuläres: „Wenn du mit dem Rücken zur Wand stehst, aber auch nach vorne keinen Schritt mehr machen kannst, dann nimmst du ein Gewehr und versuchst das zu ändern.“
Wir wissen aus dem vorigen Jahrhundert: Partisanen setzen nicht nur ihr eigenes Leben ein, sondern auch das ihrer Angehörigen. Reguläre Truppen reagieren immer sehr brutal auf Probleme und Konfrontationen mit Freischaren.
Der eingangs zitierte Scholl-Latour sagte unmißverständlich, daß der asymmetrische Krieg moderne Armeen vor unlösbare Probleme stellen würde. Solche Abnützungskriege seien für eine Großarmee nicht zu bewältigen. Scholl-Latour starb 2014 in hohem Alter, hatte sich vor über einem Jahrzehnt schon ausführlich mit Afghanistan befaßt. Wenn ich ihm heute in Aufzeichnungen zuhöre, erscheinen mir seine Einschätzungen aktuell bestätigt.
Lassen wir also die „Helden“ aus den Medienprodukten der Propagandabteilungen einmal beiseite. Dann wird sichtbar, was jedem Menschen zusteht, egal ob Mann oder Frau. Bei der Konfrontation mit einem Aggressor habe ich drei Optionen: Wegrennen, abschrecken, entwaffnen.
Ich wüßte gerne, welche Argumente es fern von ideologischen Konstruktionen gibt, auf daß mir jemand vorschreiben will, welche dieser Option ich zu wählen hab. Auf welches Recht stützt sich jemand, der mir dann sagt, was ich zu tun hab?
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