[Vorlauf: Teil I] Welche afghanischen Männer sollen nun gegen wen kämpfen, um was zu erreichen? Lassen wir kurz beiseite, daß die Taliban offenbar kampferprobte und passabel ausgerüstete Verbände stellen, die sich inzwischen nicht nur mit zusätzlichen Waffen und allerhand Gerät versorgen konnten.
Ich hab in den letzten Tagen noch keine Antwort erhalten: Sind das nun Freischaren oder Soldaten? Damit meine ich: durch wen erfolgt die politische Legitimation einer Interessensgruppe, auf daß sie „den Staat“ vertritt?
Wenn meine Leute mich wissen lassen, daß sie die Idee eines Gottesstaates entsetzlich finden, sehe ich mich im selben Boot. Aber aus welcher (eurozentristischen?) Position wollen wir a) einen universellen Alleinvertretungsanspruch zu Fragen der Demokratie beanspruchen und b) andere Gemeinschaften darauf verpflichten? (Und mit welchen Mitteln wollen wir das tun?) Das ist mir alles noch ganz unklar.
Mittelalter
Daß in der aktuellen Beschreibung des Status quo Afghanistans das Mittelalter generell verunglimpft und mit den Taliban assoziiert wird, zeigt mir, wie ungebildet da gerade dahinargumentiert wird. (Auch das so ein eurozentristisches Pausennümmerchen.)
Die arabischen Kulturen waren im Mittelalter unseren in vielen Bereichen haushoch überlegen. Medizin, Wissenschaft, Kunst… Wir haben von dort die arabischen Ziffern, die Grundlagen der doppelten Buchhaltung oder die Blicktheorie für die Idee der Zentralperspektive bezogen, die Ideen zur Takelage für bahnbrechende Caravellen; von den Texten der griechischen Philosophie ganz zu schweigen, die wir arabischen Übersetzern und Kommentatoren verdanken, während unsere Leute sie verloren hatten.
Rebellen
In meinem Milieu, dem Kunstvölkchen, sind rebellische Posen Standard. Wie gesagt: Posen. Da ist nicht viel dahinter, wie jüngst auch unsere Corona-Erfahrungen gezeigt haben. Mich hat immer wieder interessiert, wovon das Wort tatsächlich handelt. Was wird sichtbar, wenn man hinter die Bilder blickt, die uns von der Unterhaltungsindustrie angedient werden?
Europa kennt viele Beispiele. Der spanische Bürgerkrieg. Die französische Résistance. In Belfast bekam ich Eindrücke, was von den Kontroversen zwischen IRA und britischen Kräften noch nachklingt. (Ich war bedrückt, wie massiv das in der Luft lag.) Im Kosovo hab ich mir das zerschossene Anwesen der Jashari-Familie angesehen.
War dieser Rebellen-Clan militärisch wirksam? Offenkundig nicht. Waren diese Aufständischen politisch wirksam. Für das nationale Narrativ der albanischen Kosovaren sicher, also auf symbolischer Ebene; für das Formieren des Staates eher nicht.
Was militärische Erfolge anging, blieb ein höheres Organisationsniveau nötig. Die UCK, halb Rebellenarmee, halb organisiertes Verbrechen, entwickelte nennenswerte Schlagkraft und wie mir gezeigt wurde: viele UCK-Veteranen hatten nach dem Krieg gesellschaftlich einen Sonderstatus. Welchen Status hätte aber das Kosovo, wenn das Camp Bondsteel der Amerikaner nahe Ferizaj nicht errichtet worden wäre?
Was Zivilisten gegen bewaffnete Verbände ausrichten können, hat uns Bosnien in den 1990ern erkennen lassen. Konnten die damals zugezogenen Mujaheddin die Lage markant beeinflussen? Das konnten sie nicht.
Zurück zu Afghanistan: wo wird nun von wem geklärt, welche politische Formation in diesem Land legitim ist und welche nicht? (Mir ist das nämlich vollkommen unklar.)
— [Übersicht] —