(Beiträge und Fragen zu einer nächsten Kulturpolitik)
Ich denke, hier ist nun eine kleine Rückblende fällig. Damit sollte besser nachvollziehbar werden, was mich bewegt, nun auch diesen Abschnitt von „The Long Distance Howl“ genau so und nicht anders zu gestalten; mit dieser Doku-Leiste, in der ich Zusammenhänge detailliert darstelle und die Quellen/Belege nenne.
Die Radikalisierung, das meint auf mich bezogen nicht, ich sei zu einem Hooligan oder zu einem trunkenen Bohemien geworden, dem es gefiele, den Bürgerschreck zu spielen. Solche Attitüden finde ich spießig und uninteressant.
Meine kulturpolitische Radikalisierung war eher eine Art „Erwachsenwerden 3.0“, das sich aus meiner Lebensweise ergab und wie sich die mit dem Kultbetrieb verzahnte. Oft habe ich erlebt, daß mit etwa Lehrer oder übrige Landesbedienstete gegenüber saßen und sich darauf versteiften, daß wir im selben Boot säßen, während ich oft nicht einmal sicher war, ob wir auf demselben Teich herumrudern.
Es kommt bis heute vor, daß sich Menschen mir gegenüber benehmen, als spielten wir intellektuell und emotional in derselben Liga, was ich meist höflich übergehe, wenn eine Differenz merklich und kontrastreich ist.
Fürs Protokoll: „Erwachsenwerden 1.0“ war die konventionelle Art, als ich mit 18 Jahren mein Elternhaus verließ. „Erwachsenwerden 2.0“ fand unter der Zugmaschine eines LKW-Zugs statt, unter der ich nach über 20 Metern Bremsweg mit meinem Motorrad verkeilt war. Im gleichen Jahr wurde ich Vater. „Erwachsenwerden 3.0“ ergab sich aus der mehrstufigen Kollision mit Merkwürdigkeiten des Kulturbetriebs.
Davon war die erste, daß man für das politische Programm der steirischen ÖVP 1995 einen meiner kulturpolitischen Texte unverhüllt geplündert hatte und Landeshauptmann Waltraud Klasnic, damals zugleich steirische Landeskulturreferentin, sich der Sache erst annahm, nachdem sie durch die Medien gegangen war. (Vorher hatte man meine Fragen zum Fall ignoriert.)
Innerhofers Tod
Am 23, Jänner 2002 schrieb Richard Reichensperger im Standard über „Selbstmord in Gesellschaft“ (Zum Tod Franz Innerhofers) Der hatte sich wenige Tage davor, am 19.1., umgebracht. Ich hatte dem Franz nicht so nahe gestanden, daß mich dieser Akt tiefer erschüttert hätte. Viel früher hatte mich der schreckliche Tod von Peter Köck im Juni 1989 ganz anders erwischt. An ihm hatte ich sehr gehangen. Eine milde Seele, ein gutherziger Mensch. (1994 hatte es Werner Schwab erwischt.)
Solche Ereignisse machen nachdenklich, wenn man als Freelancer im gleichen Metier tätig ist, denn selbstverständlich hat das alles auch einige seiner Gründe im Kulturbetrieb. Und genau das trennt Leute wie mich dann von jenen, die ihr Brot in diversen Anstellungsverhältnissen verdienen oder einfach „gut geheiratet“ haben. (Wir sind auf andere Art ausgesetzt als sie.) Ich sehe das nicht hierarchisch, sondern komplementär. Aber der Unterschied macht einen Unterschied!
Graz 2003, Kulturhautstadt Europas
Einen der Angelpunkte jenes dritten Erwachsenwerdens bildete ein höchstgerichtliches Urteil nach einer mehrjährigen Kontroverse mit der Graz 2003-Company unter dem nicht gerade liebenswürdigen Wolfgang Lorenz. Das hing mit einem Trio zusammen, dem Unternehmer Jürgen Kapeller, der Comiczeichner Jörg Vogeltanz und mir.
Dieses Fall zog sich hin. Wenn Unternehmer Kapeller nicht seine Ressourcen in die Waagschalen geworfen hätte, wäre einer wie ich ganz flott und mit wehenden Fahnen untergegangen. Auf dem kultur.at-Cover der Kalenderwochen 41/2001 hatte ich notiert: „Was machen wir jetzt?“ „Wir fallen in Panik!“ [Das offizielle Graz 2003 und der sogenannte „Domainstreit“ mit uns.]
Ich erinnere mich bloß an einen einzigen Künstler, der sich in dieser Sache damals demonstrativ auf unsere Seite gestellt hatte. Autor Ernst Binder. Er verkleidete sich als „Ernst bin Der“ und verkündete die Gründung der „catholic islamic orthodox church of the free limits in cooperation with the jewish voodoo principle of permanent fatal errors“.
Ich formierte die radikale Bewegung des „Errorismus“ und mein alter Ego war der „Autoterrorist“ Carlos Vamos y Nopasaran, ein guter Freund des Brachialdichters Hansi N. Neststreu. Autoterrorist bedeutet, er drohte stets, sich selbst ein Körperteil wegzuschießen wenn man seinen Forderungen nicht nachkam.)
Sie ahnen sicher, wir hatten es recht lustig und es kam auch vor, daß Spottgedichte von Hansi N. Neststreu mit anwaltlichen Klagsdrohungen quittiert wurden. (Aktennotiz: Sandra Kocuvan in der Kulturabteilung des Landes informieren, daß die von ihr vermutete Solidarität unter Kunstschaffenden damals noch nicht erfunden war!)
Die Bürgerwehr
Ich wurde dann auch Field Agent 7of12 für das „Moralfreie Institut Sheng“, nachdem ich mich als Werksschutz-Mann bei der Firma Hulesch & Quenzel bewährt hatte. (Schlag nach bei Heimito von Doderer!) Aus solchen Zusammenhängen fühlte ich mich qualifiziert, eine Miliz gegen die von der Grazer FPÖ eingeführte „Bürgerwehr“ zu organisieren.
Vor Ort hatte ich natürlich Graphic Novelist Jörg Vogeltanz sofort auf meiner Seite, dann aber bloß noch Theatermann Hans Fraeulin (†). Dafür kamen uns aus Wien zwei erfahrene Kräfte zur Hilfe. Die Schriftstellerin Christine Werner und der Schauspieler Hubsi Kramar.
So machten wir allerhand Erfahrungen, die allerhand Konsequenzen zeigten, wobei mir scheint, beim steirischen Kulturvölkchen war das eher Anlaß zum Amüsement und ein gespanntes Warten, ob wir fallen und wie tief wir stürzen würden. Solidaritätsakte gab es eigentlich keine.
Naja, halb so wild! Es kostet bloß Geld und das Wohlwollen von Personen in markanten Positionen. Hierzulande tauchen nachts keine Rollkommandos auf, die einen Widerspenstigen wegschleppen und aus der Welt schaffen.
In der Fortsetzung erzähle ich noch, wie mich das alles dazu brachte, 2002/2003 die „Verschwörung der Poeten“ zu formieren, was das mit Musiker Oliver Mally und der „Kraft der Poesie“ zu tun hat und wie ich 2003 „The Long Distance Howl“ gestartet hab, um auf 20 Jahre auszuloten, wie sich Kunst und reales soziales Leben in einem konkreten Lebensraum zueinander verhalten mögen.
— [The Long Distance Howl] —