Gleisdorf erlebt eine kleine Serie von Wochenend-Sessions zu Fragen bezüglich der Flüchtlinge in Kara Tepe, also zu Elenden auf dem Boden Europas. Bürgerinnen und Bürger aus dem Bezirk Weiz haben sich entschlossen, individuelle und sehr konkret Verantwortung zu übernehmen, indem sie fünf Familien aus diesem Elend holen wollen, um sie in unsere Gegenwart begleiten.
Das wurde bisher von der Behörde blockiert. Der einzige Grund, den man dafür dingfest machen kann, ist die ideologisch begründete Doktrin vom Vermeiden der „Pull-Faktoren“. Wenn der Staat engagierten Bürgerinnen und Bürgern in den Arm fällt, muß das gut begründet sein. Also begann ich zu suchen.
Wo ist diese Doktrin von den Pull-Faktoren und seinen angeblichen Effekten im Kreise unserer Regierung formuliert? Wo kann ich das nachlesen? Gleich vorweg: bei unseren Regierenden nirgends. Da finde ich nur ein paar Statements, die PR-Charakter haben. (Die Ergebnisse meiner Suche lege ich in einer folgenden Glosse dar.)
Was aber hat die Kunst mit all dem zu tun? Sind Kunstschaffende naturgemäß rebellisch und so gesehen meist aufmüpfiger als andere Leute? Nein. Das ist ein populäres Klischee, mit dem sich unser Spießbürgertum eine eher schlampige Erklärungsversion für diese Milieus gebastelt hat.
Da werden bewährte Abziehbilder vermischt. Der arme Poet, der Bohemien und Bürgerschreck, die Nonkonformistin und die Verträumte, die Unangepaßte, lauter so Kram… Derlei Stereotypen eines halbseidenen Kulturbetriebs werden gerne von jenen kreativen Leuten verstärkt, die sich unter die Flagge der Kunst reklamieren und das vor allem umsetzen, indem sie solche Posen reproduzieren.
Heftige Selbstinszenierung: „Der Künstler, ein Rebell“. Das ist eine recht müde Klamotte, deren weichgespülte Variante sich zum Beispiel im Tragen lustiger Hütchen und schriller Schmuckstücke zeigt, unterstrichen durch ein etwas lärmendes Verhalten bei Kunstveranstaltungen.
Sowas langweilt mich zu Tode. Die meisten Künstlerinnen und Künstler von Relevanz, mit denen ich je zu tun hatte, sind auf solche Art völlig unauffällig. Ihre Profession zeigt sich wesentlich durch Sachkompetenz, Konzentration und ein nie versiegendes Interesse an der Welt.
Das hat sehr gute Gründe. Kunstpraxis stützt sich – neben einigen anderen Bedingungen und Zielen – auf zwei sehr wesentliche Anforderungen: das Ringen um Qualität und das Ringen um Vollendung. Wer darauf verzichtet und zu schludern beginnt, wechselt das Metier, macht seine Arbeit zu einer Ansammlung von Dekorationsgegenständen.
In diesem Bemühen um die Relevanz und die Stichhaltigkeit der eigenen Arbeit ist das Beachten von Folgerichtigkeit fundamental. Wer auf Folgerichtigkeit verzichtet, wechselt ins Dekorationsgeschäft.
Natürlich kann Folgerichtigkeit auch in Sackgassen führen, in Irrtümer münden. Das liegt in der Natur der Sache und verhält sich ähnlich wie in der Wissenschaft. Beim Erforschen einer Landkarte der Bedeutungen muß man mit Irrwegen rechnen. Es ist dann vor allem dieses Bemühen um Folgerichtigkeit, das aus den Sackgassen auch wieder herausführt. In solchen Zusammenhängen kollidieren Kunstschaffende gelegentlich auch im Gemeinwesen mit Leuten, die das konkrete Leben mit etwas Propaganda verhüllen möchten.
+) Kara Tepe (Glossen)