Die dritte Kara Tepe-Session auf dem Gleisdorfer Hautplatz liegt hinter uns. Es werden weitere folgen. Wenn sich unter anderem Kunst- und Kulturschaffende dabei exponieren, dann hat das mit wenigstens zwei Aspekten zu tun.
Es handelt von Kommunikation nach innen (mit sich selbst) und nach außen (mit anderen Menschen), bei der Beachtung von inhaltlicher Folgerichtigkeit. Es handelt ferner vom Beleben des öffentlichen Raumes als einem politischen Raum. Was das meint?
Der öffentliche Raum gehört uns allen als ein primärere Ort der Demokratie. Das heißt: ein Ort der leiblichen Anwesenheit. Es ist der historisch gewachsene Ort unserer Teilnahme am sozialen, kulturellen und politischen Leben.
Nun hat sich gezeigt, daß diese Zusammenhänge stets neu erläutert und debattiert werden müssen. Es hat sich ferner gezeigt, daß Österreichs Politik bezüglich inhaltlicher Folgerichtigkeit und Relevanz so ihre schwachen Stellen hat.
Wenn ich folglich als Künstler an einem öffentlichen Ort in diese Zusammenhänge eintrete, dann tue ich es in der Tradition von Emile Zola. Ich bringe mich im politischen Kontext in eine öffentliche Debatte ein, ohne von einer Institution oder einem Staatsorgan dazu eingeladen worden zu sein. Aber genau das entspricht der Tradition und kulturellen Geschichte Europas im Werden von Demokratie.
Wenn wir heute über Kara Tepe sprechen, dann hat das zwei ganz wesentliche Themen. Kinder sind grundsätzlich unser aller Schutzbefohlene. Wer das einschränkt, stellt sich selbst an den Rand einer Völkergemeinschaft, deren Konventionen längst ausgehandelt und festgeschrieben wurden.
Dazu kommt, daß die Unteilbarkeit der Menschenwürde als derart verbindlich angesehen wird, daß dieses Prinzip in Österreich Verfassungsrang hat. Wenn wir also heute über Kara Tepe sprechen, dann darüber, daß in den griechischen Lagern Menschen über Jahre dem Elend ausgeliefert wurden. Sie mußten unter Bedingungen leben, die bei uns unweigerlich zur Strafverfolgung führen würden, wenn jemand etwa 20 Kühe ähnlich miserabel unterbrächte.
Österreichs Regierung erlaubt es Bürgerinnen und Bürgern nicht, eine individuelle und sehr konkrete Verantwortung dafür zu übernehmen, indem sie einzelne Familien aus diesem Elend herausholen.
Diese politische Entgleisung beruht speziell auf einer Lieblingsbehauptung vom sogenannten „Pull-Effekt“ oder „Pull-Faktor“. Der besagt: ein entgegenkommender Umgang mit Flüchtlingen würde weitere Flüchtlingsmassen nach Europa zerren, würde zu nächsten Flüchtlingsströmen anregen. Eine kühne Behauptung, für die ich keine seriösen Belege finden kann.
Es ist mir bis heut nicht gelungen, etwa ein ÖVP-Papier zu entdecken, das diese politische Doktrin genauer ausführt und mit Fakten untermauert. Vielleicht kann mir jemand einen Link zu einem relevanten Papier schicken. Bis dahin halte ich das Gerede vom Pull-Effekt für politische Propaganda.
Gehe ich etwa mit dem Suchbegriff „pull“ auf die Websites der Parteien, schaut es ganz mager aus. Versuchen Sie es selbst! Eine Suchabfrage, mit der eine gesamte Website durchkämmt werden kann, lautet zum Beispiel so: „pull site:dieneuevolkspartei.at“
Wie in der vorigen Glosse notiert: Wenn der Staat engagierten Bürgerinnen und Bürgern in den Arm fällt, muß das gut begründet sein. Ich warte derzeit noch, daß mir diese guten Gründe zugänglich gemacht werden.
+) Kara Tepe (Glossen)