Ich bin kein Mann der zu Ahnungen neigt. Diese Woche hatte ich über mehrere Tage einfach ein schweres Herz. Ich bin im Umgang mit Krisen sehr erfahren und konnte dafür individuelle Strategien entwickeln. Als Freelancer auf dem Kunstfeld muß auch unter großer Belastung immer irgend ein Teil an mir weiter funktionieren, damit meine Existenz in harten Zeiten nicht komplett den Bach runtergeht.
Daher weiß ich aber auch, wenn ich ohne deutlichen äußeren Anlaß mit einem schweren Herzen herumrenne, dann ist es die Gesamtsituation, die etwas mit mir macht. Dann ist da etwas. Ich muß dazu nicht immer Details wissen. Ich muß das bloß ertragen und auf den Füßen bleiben.
Doch nun sind Details deutlich geworden. Eigentlich eine Serie von Details, von denen ich manche im Privaten belasse. Ein Beispiel: Sir Oliver Mally hat mir eben erst in einem unserer Telefonate erzählt, daß es Musiker Uli Rennert sehr schlecht geht. Es lasse sich nicht sagen, ob seine Kraft reicht, um ins Leben zurückzukommen.
Heute kam die Nachricht, daß Rennert gestorben ist. Heute ist der 55. Geburtstag von Mally. Heuer ist das Jahr, in dem ich 65 werde. Dieser Abschnitt, die Zeit zwischen zirka 55 und 65, macht allerhand deutlich. Etliche sind längst gegangen. Zum Beispiel Peter Köck. Helmut Schranz. Ernstl Binder. Manchen setzt nun die Seuche zu. Andere haben ihre Krebsdiagnose, oder sie haben Verschleißerfahrungen, haben schlechte Blutwerte. Solche Angelegenheiten…
Wir sind verletzlicher geworden. Jede Wunde, die heilen muß, braucht dazu heute länger als in meinen jungen Jahren. Das ist ganz banal, eigentlich keiner Erwähnung wert, aber es ist eine gute Metapher. Wir, einige von uns, sehen einander derzeit anders an. Da ist nichts Lautes. Da ist nichts Kopfloses.
Es ist diese sinnlich nicht erfahrbare Bedrohung durch die Seuche, in der wir daran besonders erinnert werden, daß uns niemand die Achtsamkeit und die Eigenverantwortung abnimmt. Das ist es, worüber wir uns ruhig bis leise verständigen.
Wie machst du es? Wie gehst du mit diesen und jenen Situationen um? Wir müssen das in jedem Moment, der uns eine Entscheidung auferlegt, selber regeln. Die aktuellen Bestimmungen der Behörde sind dabei vor allem ein Beitrag zu Orientierungsfragen. Wir hören von den Versehrten und von den Sterbenden. Die Welt dröhnt von Meinungen.
Uli Rennert hat uns verlassen. Das ist kein Gegenstand von Spekulationen, kein Anlaß zu Streitgesprächen, sondern ein simples Faktum. Wir, die wir jetzt zwischen Mitte 50 und Mitte 60 sind, manche auch älter, schulden uns selbst Rechenschaft über diese bisherigen Leben. Dafür braucht niemand Zurufe. Manche tun das, andere nicht. Man entscheidet individuell.
Ich fürchte, Rennert hatte kein leichtes Sterben. Davon zu hören ist ein deutliches Memento mori. Ich bin froh, daß ich Menschen um mich habe, die das nicht überspielen, die das nicht ignorieren. Sie verfallen auch in keine Posen, sondern ich merke, wir sehen einander anders an. Da ist nichts Lautes. Da ist nichts Kopfloses. Gut so! Das werden jetzt noch Monate voller fordernder Situationen.