Jahre und Zahlenspiele XVI

Java-Gurke und Etrich-Taube

Ich habe als Kind die Ahorn-Samen bestaunt, weil ich so verblüfft war, daß ein Blättchen in Hubschrauber-Art vom Baum trudelt. Ich bestaune diese Schraubenflieger immer noch, weil mich beeindruckt, daß eine Pflanze Erfahrungen sammelt, daraus Schlüsse zieht, schließlich so eine Flugfrucht hervorbringt.

Derzeit vor meiner Haustür: der Schraubenflieger des Ahorn.

Ich habe mir vor Jahren erklären lassen: Bionik bedeutet nicht, daß man einfach nachbaut, was in der Natur vorkommt. Es bedeutet ein Erkennen der Prinzipien, wie sie die Natur anwendet, um sie für technische Lösungen zu nutzen.

Igo Etrich ist ein österreichischer Konstrukteur, dem bezüglich Luftfahrt viel gelang. Sein Vater hatte auf das Know how des tödlich verunglückten Otto Lilienthal zugegriffen. Aber dessen Art der Gleiter blieb Episode. Etrich entwickelte nächste Optionen.

Flugsamen der Zanonia macrocarpa (Foto: Scott Zona, CC BY 2.0)

Er arbeitete ab 1903 an einem „Nurflügel-Gleiter“, den er 1905 patentieren ließ. Die Anregung zu dieser Konstruktion bezog er aus der Natur. Es war der Flugsamen der „Java Gurke“, lateinisch: Zanonia macrocarpa. Etrich hatte darüber in einem Buch gelesen, als er nach Ideen für ein leistungsfähiges Fluggerät suchte.

So einen Samen besorgte er sich dann aus einem Hamburger Museum, was zum eben erwähnten Erfolg führte. Für den nächsten Schritt hatte er einen „vierzigpferdigen Motor“ aus Frankreich in Arbeit, mit der er nicht zufrieden war. Zu minderwertig, zu schwach. Ferdinand Porsche versprach ihm, einen „sechzigpferdigen Motor“ zu bauen, den er in die Etrich-Taube packen könne.

Etrich-Taube von 1910 mit 60 PS Daimler-Flugmotor.

Etrich erzählte, wie ihn Porsche im Zuge dieser Entwicklung zu einer Probefahrt mit dem Prinz Heinrich-Wagen einlud, einem Rennwagen von Austro-Daimler. Damals gab es noch keine Windkanäle, keine technischen Informationen zu Strömungsfragen. Etrich wies Porsche darauf hin, daß die Karosserieform des Wagens die Luftwirbel am Heck unberücksichtigt lasse.

Der Flugpionier empfahl aufgrund seiner Erfahrungen eine Linienführung, mit der die Turbulenzen gezügelt werden konnten. Die Fahrleistung des Wagens ging dadurch eklatant hoch. Porsche feierte beim kommenden Wettbewerb (Prinz Heinrich-Fahrt) Triumphe. Die Allgemeine Automobil-Zeitung berichtete am 19. Juni 1910:

Der Austro-Daimler im Juni 1910: „Direktor Ferdinand Porsche am Steuer“.

Die offizielle Klassifizierung.
– Sieger: Direktor Ferdinand Porsche (Nr. 51, Oesterreichischer Daimler)
– Zweiter: Direktor Eduard Fischer (Nr. 46, Oesterreichischer Daimler)
– Dritter: Fritz Hamburger, Fahrer Graf .Heinrich Schönfeld (Nr. 47, Oesterreichischer Daimler)
– Vierter: Herbert Ephraim (Nr. 8, Opel)
– Fünfter: Fritz Erle (Nr. 30, Benz)

Juni 1910: „Louisel, das Töchterlein Direktor Porsches, im Heck des Prinz Heinrich-Wagens.“

Es läßt sich also notieren, Etrich sei ein Mann, dem wir die Stromlinie in der Praxis verdanken; längst bevor Paul Jaray das für Kraftfahrzeuge konsequent anwandte. Auch in den folgenden Jahrzehnten waren Erfahrungen aus dem Flugzeugbau von großem Einfluß auf die Automobilentwicklung. [Vorlauf] [Fortsetzung folgt!]

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Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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