Fluß der Formen
In meiner Sammlung stehen zwei Miniaturen nebeneinander. Sie zeigen beide Konstruktionen von Karl Jenschke, wenn auch eine davon individuell adaptiert wurde. Das jüngere Modell ist der Steyr 50 (1936–1940), ein exemplarischer Streamliner im Stil des Art déco.
Dahinter der ältere Expeditionswagen des Weltreisenden Max Reisch, welcher für die speziellen Zwecke von Reisch einst auf kantig umgebaut wurde. Das Basismodell, der Steyr 100 (1935–1937), ist damals als erster Stromlinienwagen aus österreichischer Serienproduktion beworben worden.
Dieser Steyr 100 sieht noch ganz vertraut nach einem Auto jener Ära aus. Aber vor allem im Rennsport hatte sich 1933/34 die Stromlinie schon deutlich gezeigt. (Siehe dazu Eintrag VII und Eintrag VIII!)
Ich konnte mir beide Wagen nebeneinander ansehen. Den Steyr 100 in seiner Basisversion (wie ihn Heinz und Lisl Mesicek pflegen) gemeinsam mit dem Reisch-Wagen, den heute Peter Reisch (der Sohn des Weltreisenden) besitzt. Das Motiv werde ich später noch aufgreifen, wenn über die Blockhütten zu reden ist.
Mit Blockhütte meine ich aufgeblähte SUV, manche davon mit aberwitzig starken Motoren, in Nachbarschaft zu richtigen Offroad-Fahrzeugen. Also etwa ein Porsche Cayenne neben der G-Klasse von Mercedes-Benz.
Die Stromlinie tauchte aus den Kräftespielen des Art déco auf. Im Straßenbild zeigte sich das an Automobilen, deren ausgestellte Kotflügel und aufgesetzte Scheinwerfer quasi mit dem Leib des Fahrzeuges verschmolzen, um Karosserien hervorzubringen, die Richtung Ei-Form tendierten.
Das wurde in den 1950ern am Fiat 600 sehr anschaulich, den es in Lizenz auch als Steyr-Fiat 600 gab. Quasi ein Ovoid, an dem alte Formen in Andeutung noch vorhanden sind, wie etwa ein Rest der hinteren Kotflügel.
Dieses kleine Raumwunder auf kurzen zwei Metern Radstand ist ein Nachkriegs-Streamliner, der überdies einen Heckmotor hat, also die Front nicht per Kühlergrill offenhalten muß. Im direkten Vergleich dazu ist der VW Käfer ein irritierender Anachronismus. Dieser VW Typ 1 (von Ferdinand Porsche und Erwin Komenda), der aus dem KdF-Wagen der Nazi-Ära hervorging, war quasi ein steckengebliebener Transformer.
Der „Kugel-Porsche“ aus den 1930er Jahren wurde übrigens in Mexiko noch bis zum Juli 2003 gebaut, ohne je seine Kotflügel eingezogen zu haben. Damit durchlief das altbackene Design auch jene Nachkriegsphase, in der sich die Glättung automobiler Formen per Ponton-Karosserie breit durchsetzte. (Den Citroen 2 CV muß man extra betrachten.)
Der Ponton wurde dann auch in Wolfsburg realisiert. Per VW Typ 3, dem der Heckmotor erhalten blieb. Kein überragender Verkaufserfolg zwischen den Geschichten von VW Käfer und VW Golf (Typ 17). Der Golf steht dann schon für die Keilform-Ära, wie sie Designer Giorgetto Giugiaro bei VW ab dem 1er Passat auf eine Massenbasis gebracht hatte. (Die eigentliche „Käfer-Glättung“ realisierte Komenda viel früher mit dem Porsche 356.)
Der Formen-Verlauf sieht – grob skizziert – so aus: Torpedo, Stromlinie, Ponton, Keil. Das sind natürlich primär technisch bedingte Lösungen, die sich Formal ausdrücken; gemäß dem Bonmot aus Bildhauerei und Architektur: Form follows function; so Horatio Greenough in der Mitte des 19. Jahrhunderts Aber es wurden kulturelle Codes daraus, deren Bedeutung in den gesellschaftlichen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts Gewicht haben. [Vorlauf] [Fortsetzung]