Oder: Über eine Abschiedsrede, die nicht gehalten wurde
Wissenserwerb ist Arbeit. Arbeit bedingt Arbeitszeit. Naja, das klingt fast so aufregend wie: das Wasser ist naß. Oder: der Papst ist katholisch. Aber in Österreich entsteht bei solchen Themen offenbar Klärungsbedarf.
In meinen Kindertagen hörte ich gelegentlich den spöttischen Hinweis, diese oder jene „gnädige Frau Doktor“ habe „auf dem Standesamt promoviert“. Als Lehrbub kannte ich diese Marotte, daß manche Frau eines Akademikers mit dem Titel ihres Mannes angesprochen werden wollte, obwohl sie selbst ohne einschlägige Meriten war.
Es gehörte zu meiner Lehrlingsausbildung, daß ich gründlich instruiert wurde, welche Stammkunden und –kundinnen mit welchem Titel anzureden seien. Damals hat mir freilich niemand erzählt, wie lange Frauen nach Kräften von Universitätsstudien ferngehalten wurden; offenbar mit allen nur denkbaren Mitteln.
In Österreich durften Frauen erstmals 1878 Universitätsvorlesungen ab als Hospitantinnen besuchen. Die erste Promotion einer Frau fand 1897 statt. Gabriele Possanner Freiin von Ehrenth wurde in Wien zur Dr.med.univ.; mit der ersten Habilitation dauerte es bis 1907. Ab da gab es in der Romanistik Frau Dr. phil. Elise Richter.
Richter wurde 1921 als erster Frau in Österreich der Titel einer außerordentlichen Professorin verliehen. Die erste ordentliche Professur gab es dann aber erst 1956. Die Physikerin Berta Karlik, Entdeckerin von drei Isotopen des Elementes 85 (Astat), erreichte diese Position.
Erst 1919 erhielten Frauen Zutritt zu fast allen Fakultäten und Hochschulen in Österreich. Das ist der Hintergrund, vor dem der „Fall Aschbacher“ einen besonderen Kontrast erhält. Ihr Abschied aus dem öffentlichen Amt einer Ministerin. Dieses Abschiedstatement hätte so lauten können:
„Ich ersuche Sie, meine Entschuldigung anzunehmen. Mir ist dieser Vorfall äußerst unangenehm. Ich bedaure, daß ich dem geistigen Leben unseres Landes einen solchen Schaden zugefügt habe. Es ist gerade jetzt so wichtig, das Vertrauen in die Wissenschaftswelt zu stärken und wissenschaftliche Einrichtungen nicht zu diskreditieren. Vielleicht erlauben Sie mir nach etwas Abstand, die Gründe für meine Fehlleistung darzulegen. Das könnte ein nützlicher Beitrag sein, die Qualität der akademischen Welt zu stärken, indem wir uns zum Beispiel bemühen, ihre Rahmenbedingungen zu verbessern.“
Aber diese oder eine ähnliche Rücktrittsrede hat Frau Aschbacher nicht gehalten. Stattdessen lese ich in ihrer Presseaussendung erstens Selbstlob, zweitens Leugnung und drittens bemäntelt sie das Politisch mit Privatem: „Die Anfeindungen, die politische Aufgeregtheit und die Untergriffe entladen sich leider nicht nur auf mich, sondern auch auf meine Kinder, und das mit unerträglicher Wucht. Das kann ich zum Schutz meiner Familie nicht weiter zulassen.“
Ich empfinde derlei Chuzpe als Zumutung. Diese Begründung ihres Rücktritts vom Amt einer „Ministerin für Arbeit, Familie und Jugend“ spottet mehreren Bereichen unserer Gesellschaft, vor allem aber den Lebenswelten anderer Frauen und der Kulturpolitik. Danke und schöne Grüße!
+) Die Pressemitteilung Aschbachers (PDF-Download)
+) Die neue Bourgeoisie (Laufende Debatte)