Hegemonie

Turbulente Zeiten. Allerhand Gedränge. Energische Töne. Begriffsverwirrungen. Ein Beispiel. Lila H., die medial vorzugsweise als Künstlerin erscheint, postete heute: „Damit wir nicht noch weiter in eine Diktatur/Diktokratie schlittern, bitte für einen Eintrag…“. Diktatur?

Wer Gedichte schreibt und Lieder singt, Aktionen setzt, durch die Menschen Erbauung finden mögen, wer also anderen etwas rät, müßte in der Lage sein, fundierte Aussagen zu treffen. Ich halte es für obszön und sachlich vollkommen abgründig, Österreich eine Diktatur zu nennen. Meine Rückfrage „Diktatur?“ wurde so beschieden: „nenne es diktokratie, wenn dir das besser gefällt“. Wäre es Poesie, könnte man ins Grübeln kommen.

Als Sachverhaltsdarstellung ist es vollkommener Mumpitz, zumal wir von Orbans Ungarn bis zu Lukaschenkos Belarus markante Referenzpunkte kennen. Wer nun – grade in der Zugehörigkeit zum Literaturfeld – mit Begriffen so verfährt, daß sie weder poetische Kraft haben, noch sachlich überprüfbar sind, spielt ein merkwürdiges Spiel.

Die Überschrift dieser Notiz kommt daher, weil ich daran erinnern möchte, daß Europa wesentlich von zwei Konzepten geprägt wurde: Hegemonie und Imperium. Die Hegemonie kennen wir aus dem Griechischen. Sie meint Führerschaft über alles, auch über andere Führende; Themenführerschaft natürlich eingeschlossen.

Das Imperium kennen wir aus dem Lateinischen. Es meint Herrschaft und will ein konkretes Territorium. Es erdrückt jene, die dem widersprechen. In den aktuellen Impfpflicht-Kontroversen finde ich derzeit ein völliges Durcheinander ideologischer Ansätze. Es fällt auf, daß annähernd alles Personal der Vierten Gewalt, publizistische Kräfte, bei Veranstaltungen niedergebrüllt und sogar körperlich attackiert werden.

Es geht ganz offenkundig um Hegemonie. Viele, die sich in diesen Kontroversen äußern, möchten sich keiner kritischen Debatte stellen, reagieren angriffslustig auf Widerworte und beklagen Zensur, wenn ihre Stimmen oder wenigstens Ansichten medial nicht vorkommen. (Wer ihnen widerspricht, wird als Lügner bezeichnet.)

Ich sehe in Dokumentarstreifen deklarierte Antifa-Kräfte, die wie SA-Rabauken der Nazi-Ära agieren. Ich sehe erklärte Nazi, die behaupten, Freiheit und Demokratie zu verteidigen. Ich sehe Schwulenhasser und Antisemiten, Putin-Fans und Trump-Verehrer, Krawalltypen und Angstgeschüttelte. (Die Liste skurriler Auftritte ließe sich fortsetzen.)

Ich nehme zur Kenntnis, daß wir in einer fragmentierten Gesellschaft leben, die während dieser Pandemie eine Vertiefung von Lagern und Verhärtung von Lagergrenzen erlebt. Es läßt sich nicht mehr übersehen, daß sich allerhand Leute zusammenrotten, um Ansichten zu verlautbaren, die ich nicht nachvollziehen kann. Hegemoniebestrebungen, die mit erheblichem Kraftaufwand betrieben werden.

Ich muß mich derzeit auf eine Nische konzentrieren, die ich als ein Lager der Kunst betrachte. In der Kunst ist Folgerichtigkeit konstituierend. Meine individuelle Orientierung handelt davon, daß ich in der Kunst lebe, wenn ich mich um Qualität und Vollendung bemühe.

Für den Diskurs verlangt das, was ich als Handwerks-Ethik kennengelernt habe: Ich sage nur das, was ich kann und ich kann das was ich sage. Alles andere ist Maulheldentum und Dekorationsgeschäft. (Ohne intellektuelle Selbstachtung wird’s meist kaum mehr als ein Bassena-Gezänk.)

+) Kontext Covid-19

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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