Ich hab hier die vorige Notiz mit folgender Bemerkung eingeleitet: „Die Stadt Weiz verschickt ihr Kulturprogramm, als ob 2020 nichts gewesen wäre. Die Stadt Gleisdorf verschickt ihr Kulturprogramm, als ob 2020 nichts gewesen wäre.“
Solche Effekte ließen sich als Ausdruck von Krisenhaftigkeit verstehen. Irritation, Angst, Sorge, das sind Gefühle, die dazu führen können, daß Menschen intensiv an vertrauten Kategorien festhalten, sich so lange festklammern, bis sich Neuland betreten läßt.
Einleuchtend. Mein eigenes Gefühl, daß man genau dann losgehen soll, weil jedes Beharren die Probleme bloß vertieft, ist nicht sehr populär. Ich bin recht sicher, daß die Krise eine gute Gelegenheit ist, in Bewegung zu kommen, weil sie mildert, was sonst greift: jede Veränderung erzeugt Widerstände.
Die Krise, das ist immer bloß die Veränderung. Erst das eigene Verhalten entscheidet, ob man dabei in die Katharsis oder in die Katastrophe geht. Doch wo schon vor Jahren die Kultur zur Magd des Marketings gemacht wurde, bringt die Erstarrung vorerst einen Nutzen für die Ingenieure des Beharrens. Bleibt die Frage, ob man damit nicht gerade ein Stück Zukunft verspielt.
Was ich seit einiger Zeit als „Neue Bourgeoisie“ beschreibe, ist eine auffallend denkfaule Funktionselite, die ihre Geschäfte betreibt, indem sie ganz erheblich zu alten Kategorien zurückspringt und ihr Tun in veralteten Begriffen darstellt. Das Gegenteil von Zukunftsfähigkeit.
Eben bekam ich aus Weiz den aktuellen Kulturfolder, war überrascht, wie sehr die dort tonangebende Sozialdemokratie sich in Begriffen eines vorgestrigen Bildungsbürgertums äußert.
An Weiz wie an Gleisdorf fällt auf, daß Kulturpolitik von der Verwaltung geprägt wird, während die politisch verantwortlichen Referenten sich hauptsächlich mit Repräsentation hervortun, aber keinerlei kulturpolitische Überlegungen von Relevanz erkennen lassen.
Das heißt, hier wie dort bestimmen die Kulturbeauftragten der jeweiligen Büros, was inhaltlich geschieht. So wird das Kunsthaus Weiz aktuell als „Das Haus der schönen Künste“ beworben. Eine Sprachregelung, die historische sogar weit hinter den Beginn der Sozialdemokratie zurückrutscht.
Goethe hatte sich in seinen Sturm und Drang-Jahren gegen die Klassifizierung der Künste nach einem vorgefaßten Prinzip aufgelehnt. Er lehnte ein System der schönen Künste ab. Wenn wir heute nicht mehr „Die Künste“ sagen, sondern „Die Kunst“, das Wort also in einem umfassenden Sinn verwenden, hat das ganz wesentlich mit Richard Wagner und seiner Vorstellung von einem Gesamtkunstwerk zu tun.
Wagner zog aus seinen Erfahrungen mit der 1848er Revolution unter anderem den Schluß, das Kunstwerk der Zukunft sei als Gesamtkunstwerk zu entwickeln. Das führte auf einen Kurs, die Grenzen zwischen Kunstwerken und unserer Vorstellung von Realität einzuebnen. (Siehe Wagners „Das Kunstwerk der Zukunft“, hier als PDF downloadbar!)
Ich hatte im Mai 2020 notiert, daß die damals aus dem Amt scheidende Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek uns in ihrer Abschiedsrede eine völlig veraltete Phrase zugemutet habe: „Der Zeit ihre Kunst. Der Kunst ihre Freiheit.“ Das Motto der Wiener Sezession am Ende des 19. Jahrhunderts: (Quelle)
Offenbar legen wesentliche Teile meiner Generation in kulturpolitischen Fragen den Retourgang ein und geben Vollgas. Erstaunlich, wie viele Kunstschaffende derzeit widerspruchslos mitfahren. Wie erwähnt, ich denke, das ist ein sicherer Weg, die Zukunft zu verspielen.