Wo ist links, wo rechts? Teil V

[Teil IV] Es ist verlockend, an einer simplifizierten Landkarte der Bedeutungen festzuhalten. Für die Alltagsbewältigung nützt dieser Modus. Ich halte ihn sogar für notwendig, damit unzählige Abläufe nicht stocken oder gar verreiben.

Schloß Hainfeld in der Oststeiermark, wo Hammer-Purgstall zuhause war, mit Gästen aus dem Kosovo.

Aber um soziale und politische Zusammenhänge zu klären, kann es nicht dabei belassen werden, außer man ist in Sachen Propaganda unterwegs. Für taugliche Aussagen über gesellschaftliche Verhältnisse reicht das nicht.

Links, rechts. Ost, West. Morgenland und Abendland. Wir sind bei der Orientierung an solche Kontrastpaare gewöhnt. Wer ist drinnen und wer draußen? Wer gehört zu uns und wer nicht? Das handelt freilich auch von Strategien, um individuelle Vorteile zu lukrieren. Wegelagerer und Betrüger arbeiten ebenfalls damit.

Fährt man mit dem Auto von Gleisdorf etwa eine halbe Stunde nach Süden, wird man hinter Feldbach am Schloß Hainfeld vorbeikommen. Das war einige Zeit der Wohnsitz des Forschers und Diplomanten Joseph von Hammer-Purgstall.

Er war damit vertraut, daß Europa groß geworden ist, weil Orient und Okzident viele Jahrhunderte ein geistiges Leben teilten und einen permanenten Austausch pflegten. Es hätte ihn wohl kaum überrascht, als rund hundert Jahre nach seinem Tod der Eiserne Vorhang nicht nur zwei politische Systeme trennte.

Das neutrale Österreich der Zweiten Republik lag unendlich günstig, lag genau an dieser Schnittstelle zwischen Nordatlantik-Pakt und Warschauer Pakt. Es grenzte überdies an ein blockfreies Jugoslawien, denn Tito hatte gegenüber Stalin einen Sonderweg durchsetzen können.

Europa wurde nach dem Zweiten Weltkrieg ein sicherheitspolitisches Protektorat der USA. Wir durften uns zum „siegreichen Westen“ zählen und die Verwandtschaft im Ostblock bemitleiden. Hammer-Purgstall hätte uns womöglich darauf hingewiesen, daß diese Trennlinie wie durch Zufall über weite Strecken entlang der alten Grenze zwischen Ostrom (Byzanz) und Westrom verlief.

Die Reichsteilung Roms war 395 n. Chr. erfolgt, um das riesige Imperium Romanum verwaltbarer zu machen. Im Westen die Lateiner. Hier wurden Kaiser von Päpsten gekrönt. Ein Kirchenoberhaupt für alle, reich an politischen Ambitionen.

Im Osten die Orthodoxen. Das Kirchenoberhaupt saß zu Füßen des Basileus, so dort die Bezeichnung für den Imperator, und hatte sich nur um kirchliche Belange zu scheren. Außerdem sind die verschiedenen orthodoxen Kirchen (griechisch, russisch, serbisch etc.) „autokephal“, was bedeutet, sie haben eigene Oberhäupter. (Es gibt keinen Papst der Orthodoxie.)

Die Verehrung des österreichsichen Kaisers in Bosnien, eine Arbeit
von Radenko Milak (rechts im Bild)

Ich hab oben schon angedeutet, daß Titos Jugoslawien nicht zum Warschauer Pakt gehörte. Aber ich höre heute noch Menschen sagen, das sei ein Ostblockstaat gewesen. Wir vereinfachen eben gerne. Als Jugoslawien unterging, sahen viele Rußland als Schutzmacht und Freund der serbischen Leute; unter anderem, weil beide Ethnien von der Orthodoxie geprägt wurden.

So kann es dann freilich nicht. Apropos! Ein etwas zynisches Bonmot besagt, Stalin habe mehr Rote umbringen lassen als Hitler. Das bietet uns in seiner Brutalität einen Hinweis: wer weit genug nach links geht, kommt rechts an. Derlei war dann auch Gegenstand der Habermas-Kontroverse in den 1980ern. Die Frage nach der Singularität des Holocaust, nach der Vergleichbarkeit der Konzepte und Systeme, nach der möglichen Unterscheidung nazistischer und stalinistischer Verbrechen.

Prägungen, Klischees, Polemiken… In all dem liegen Gründe, weshalb ich einen saloppen Umgang mit den Begriffen ablehne. Worte wie Faschist und Bolschewist werden heute so beliebig ausgestreut, daß sie nichts mitteilen, außer die abschätzige Meinung des Absenders über den Adressaten.

Was erfahre ich denn, wenn ein Publizist wie Michael Jeannee, den ich weit rechts aufgestellt sehe, einen Kollegen links von sich Bolschewik, Salonlinken oder linkslinks nennt? Zitat Armin Turnherr (2017): „Das Schlimmste allerdings ist meine Rückstufung auf ‚salonlinkslinker Genosse‘. Mister Schleimrevolver, ich bestehe auf Bolschewik! Was gut ist für mein Blattl, ist auch gut für mich.“ (Quelle)

„Alltagsfaschismus“ oder „faschistoid“ sind in der Abgrenzung nach rechts ebenso trübe Kategorien. Verwaschene Markierungen auf einer imaginären politischen Landkarte, auf einem Raster ohne jede Aussagekraft.

Die Neue Rechte hat sich seit den 1980er Jahren bemüht, intellektuell, inhaltlich und sprachlich aufzurüsten, ihre Codes zu adaptieren, damit geltende Gesetze bei gewissen Vorstößen nicht mehr greifen. Der weitreichende Rechtsruck Europas ist inzwischen vollzogen, natürlich auch in Österreich. Manch einem bleibt da augenblicklich nicht mehr, als zu pfeifen, wie es Charles Quintin LeMonds getan hat. [Fortsetzung]

+) Pfeifer im Sturm (Übersicht)
+) Ein Feuilleton (kulturpolitische Beiträge)


Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
Dieser Beitrag wurde unter Feuilleton, Kulturpolitik abgelegt und mit , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.