(Für eine nächste Kulturpolitik)
Es ist naheliegend und gar nicht anders denkbar: Im Kulturbetrieb haben sich während der Corona-Krise verschiedene Lager formiert, die inhaltlich an vielen Stellen erheblich divergieren. Ich finde genug Punkte, zu denen ich in völligem Dissens stehe. Da zeigen sich Positionen, denen ich nicht zustimmen kann.
Wer das irritierend findet, sollte sich sagen lassen: Willkommen in meiner Welt! Das Leben in der Kunst handelt prinzipiell von Antwortvielfalt, oft von Irritation, auf jeden Fall von der Klarheit, daß keine Wahrheiten zutage kommen, indem man einfach Widersprüche eliminiert.
Daher behagt mir dieses Bild der verschiedenen Lager. Ich weiß, daß Dissens anregend ist. Allein aus diesem Grund sind für mich Andersdenkende ein Vorteil. Es könnte heißen: Laßt mich bitte nicht mit mir allein!
Die Lockdown-Wochen waren bezüglich meines Metiers sehr aufschlußreich. Handlungsweisen sprechen eine unverkennbare Sprache. Manche Menschen meinen, die Krise sei das Problem. Werch ein Illtum! (…um es mit Jandl zu sagen.) Die Krise ist der Prozeß des Wandels. Dazu wenigstens zwei Optionen: a) Katastrophe oder b) Katharsis. (Manche wählen auch die Starre, was bloß bedeutet, eine der Optionen ist auf später verschoben.)
Dazu stets mein Mantra: Wenn wir keine Begriffe haben, wissen wir nicht, wovon wir reden. Das ist zumindest jenen wichtig, denen an gelingender Kommunikation liegt; mit sich selbst und mit anderen Menschen. Also: Kulturpolitik.
Ich spreche für eine nächste Kulturpolitik, weil ich meine, daß die Corona-Krise eine gute Gelegenheit war, die erheblichen Schwächen der gegenwärtigen Kulturpolitik zu verdeutlichen. In meinem Metier wird gerne angenommen, Kulturpolitik sei das, was kulturpolitisches Personal tut, was vom Funktionärswesen ausgeht. Daher wird dann oft das Beschimpfen des kulturpolitischen Personals als kulturpolitisches Handeln verstanden.
Das halte ich erstens für kindisch und zweitens für einen Ausdruck der Ahnungslosigkeit, was Politik bedeutet. Wer sich in Tiraden erschöpft, macht damit bestenfalls seine oder ihre unbewältigten Autoritätskonflikte publik.
In unserer Kultur wurzelt die Vorstellung von Politik und Demokratie seit der Antike in einem Wechselspiel von „Staatskunst“ und „Gemeinwesen“. Erst wo Politik & Verwaltung mit der Zivilgesellschaft interagieren, entsteht Politik.
Nach all den Wochen taucht sporadisch auf, was ich bisher vermißt habe: diverse Formationen veröffentlichen ihre Konzepte und Forderungskataloge. Wie angedeutet, ich will manchem überhaupt nicht zustimmen. Aber ich bin froh, daß nun der Diskurs losgehen kann, um Gezänk und Geplärre zu verdrängen.
Ich will hier schrittweise auffächern, was ich mit „nächste Kulturpolitik“ meine und was ich für die bisherige Kulturpolitik halte, die ich gerne hinter uns liegend sähe.
Dabei befasse ich mich zwingend auch mit meinem Metier und mit meinen Leuten. In dem Zusammenhang werde ich ein paar Typen herausarbeiten, die sich über nun wenigstens 30 Jahre bilden, verbreiten und etablieren konnten.
Ich möchte darstellen, was ich mit der neuen Bourgeoisie meine, mit diesem Schnöseltum, das erhebliche Bereiche meines Metiers gekapert hat. Das meint Figuren wie den Trittbrettfahrer, den Dekorateur, den Amtsverweigerer, den Verschwörungsministranten, Maschinisten von Kaperfahrten, den Menschen mit dem lustigen Hütchen, den Dilettanten, Marktschreiern etc.
— [Stadt-Land] —