Netzwerke und prozeßhafte Arbeit, Teil II
Ein paar meiner bevorzugten Mantras in der Wissens- und Kulturarbeit scheinen nicht aus der Mode zu kommen. Zum Beispiel: „Vernetzung ist kein Inhalt, sondern ein Werkzeug.“ Warum ich das betone? Weil wenigstens die letzten zehn Jahre deutlich gemacht haben, daß sich aus öffentlichen Geldern Budgets lukrieren lassen, wenn man Vernetzungsarbeit als Projektinhalt angibt, besser: vorgibt.
Mich haben die Optionen meiner „Szene“ lange Jahre interessiert, weil ich aus einem Zusammenhang komme, der der Begriff „Subkultur“ für ein autonomes Milieu verwendete, das seine Stabilität aus eigener Kraft plus aus Vernetzung bezieht. Soweit das Selbstverständnis.
Meine Erfahrungen reichen von 1985 bis 2015 und ich hab mich aus guten Gründen von dieser Idee abgewandt. Es sind wesentlich drei Gründe, an denen Kooperationen und Vernetzungsprojekte zerbrechen.
1) Ein größerer Part der Beteiligten findet es zu mühsam, die Interessen der anderen Beteiligten nicht bloß mitzudenken, sondern auch mitzubearbeiten.
2) Es kommt zu Eifersucht und folglich Mißgunst vor allem bezüglich zweier Ressourcen: a) Geld und b) Sichtbarkeit (Medienpräsenz etc.).
3) Ein Kollektiv kann den Begehrlichkeiten von Politik und Verwaltung nicht widerstehen und ergibt sich dessen Zugriffsversuchen, läßt sich wieder auf Konzepte alter Abhängigkeiten ein.
Bottom up-Prinzip ade!
Ein zeitgemäßes Demokratieverständnis würde eher nahelegen, daß engagierte Kunst- und Kulturschaffende sich primär selbst organisieren und dabei Themen zur Umsetzung erarbeiten, während Politik und Verwaltung das dann begleiten und verstärken.
In der Praxis wird ein Kulturamtsleiter eventuell danach streben, verfügbare Kulturbudgets genau nicht der zivilgesellschaftlichen Basis zu überlassen, sondern für seine Abteilung zu akquirieren und dann entsprechende Programme zu entwerfen, denen sich die Kreativen als Zulieferer andienen.
Das widerspricht zwar dem Bottom up-Prinzip, wie es teilweise als Conditio sine qua non die Budgetvergabe regelt, etwa bei manchen EU-Programmen, aber das läßt sich mit PR-Arbeit kaschieren und wird oft in merkwürdigen Kumpaneien gebügelt.
Warum nenne ich 1985 bis 2015?
In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre haben wir entwickelt und erprobt, was später die „Freie Szene“ genannt wurde. Dabei hatte ich wichtig Impulse aus Deutschland erhalten. Ich bezog das Ulcus Molle Info, welches der EDV-Fachmann Josef Wientjes im Rahmen seines „Literarischen Informationszentrums“ (Bottrop) herausgab.
In dessen Umfeld war der Begriff „Gegenkultur“ noch sehr präsent. Dort konnte ich mich auch über Distanz einbringen und Erfahrungen sammeln. Es sollte aber noch gut ein Jahrzehnt dauern, bis ich erste Online-Lösungen nutzen konnte, was den Begriff „Vernetzung“ neu gewichtete.
Es gab dann in Hamburg den Chaos Computer Club, der mir ebenfalls klar machte, was Vernetzung leisten kann. In jener Formation hatte übrigens der aus Graz stammende Autor Peter Glaser eine exponierte Rolle. (Zu seinen Prosaband „Schönheit in Waffen“ trug Comic-Zeichner Chris Scheuer, mit dem ich heute zusammenarbeite, eine Serie von Graphiken bei.)
Im Jahr 1985 hab ich dann die gesammelten Erfahrungen in meiner Literaturnacht im Grazer Augartenkino umgesetzt; mit Leuten aus ganz Österreich. Bald darauf bin ich nach Gleisdorf gezogen und hab da einerseits im Sinn der Eigenständigen Regionalentwicklung weitergearbeitet, andrerseits mit der Virtuellen Akademie Nitscha (v@n) eines der ersten autonomen Netzkulturprojekte Österreichs aufgebaut.
Ab da hat sich eine rege Geschichte der Vernetzungsarbeit entfaltet, wobei ich viele Konzeptvarianten erproben konnte. Das mündete schließlich gegen 2013 in den Kulturpakt Gleisdorf, den ich als Essenz dieser Erfahrungen konzipiert hatte.
Allein folgender Titel sollte verdeutlichen, wohin das Konzept wies: „Vom Subventionsempfänger zum Kooperationspartner“ (25.1.2013). Hier ein Protokoll vom 13.5.2013, es präzisiert den damaligen Status: [PDF]
Der 2015er-Bruch
Im ersten Quartal 2015 hatte das Gleisdorfer Büro für Kultur und Marketing die regelmäßigen Plenartreffen abgeschafft, die ursprüngliche Konzeption entsorgt und den Kulturpakt Gleisdorf zu einem simplen Marketinginstrument der Verwaltung gemacht.
In der folgenden Kontroverse habe ich das Feld geräumt und auch die Federführung beim „April-Festival“ abgegeben, welches in all den vorangegangenen Jahren seines Bestehens den Prinzipien gewidmet war nicht zu zentralisieren, sondern durch die Region zu wandern und von Plenartreffen begleitet zu werden. Damit war Schluß. Siehe: [Link]
Das Protokoll
Es wurden tatsächlich rund 30 Jahre der permanenten Versuche, im Kulturgeschehen der Oststeiermark Synergieeffekte zu organisieren; und zwar strikt bottom up, mit der Option, daß – wie erwähnt – Politik und Verwaltung begleitend und verstärkend andocken können. Dazu das Prinzip: Kooperation geht vor Konkurrenz.
Ich habe nach diesen 30 Jahren von dieser Idee gelassen und vermute, es braucht einen ganz anderen Denkansatz, um da etwas weiterzubringen. Ich wüßte aber im Moment nicht, wie der aussehen sollte, hab auch zwischen 2015 und 2020 diesbezüglich keine Idee gehabt.
Aber ich bin darangegangen, den abgelaufenen Prozeß nachvollziehbar zu machen. Daher gibt es auf der v@n-site nun eine Übersicht, quasi ein Protokoll der Vernetzungsbemühungen zwischen 1985 und 2015, was die Vorgeschichte einbezieht. Es wäre interessant zu erfahren, ob es auch im Kulturbetrieb anderer Teile der Steiermark solche Prozesse in vergleichbarer Kontinuität gab und was dabei herausgekommen ist. Hier also:
+) Das Protokoll (mit Links zu den Dokumenten)
+) Netzwerke und prozeßhafte Arbeit, Teil I
— [Stadt-Land] —