(Was bedeutet das in den Vorhaben von „kunst ost“?)
Wir haben „Vier Genres“ als grundlegendes Felder-Ensemble unserer Arbeit markiert und sie als komplementär angelegte Felder definiert, also nicht hierarchisch zu einander in Stellung gebracht. (Siehe dazu auch „next code“ log #215!)
+) Alltagskultur
+) Voluntary Arts
+) Kunsthandwerk
+) Gegenwartskunst
Auch wenn jeder der Begriffe stets neu auf seine aktuelle Inhalte geprüft werden muß, scheinen uns drei davon einigermaßen vertraut. Den vierten, nämlich „Voluntary Arts“, habe ich „importiert“, weshalb eine kleine Erläuterung nützlich sein dürfte.
In Europa herrschen aufgrund der vielfältigen Ethnien und Vorgeschichten höchst unterschiedliche Kulturbegriffe. Während in Österreich eine gewisse Prüderie zu finden ist, wenn es um die Klärung der Verhältnisse zwischen Gegenwartskunst und den übrigen Genres geht, haben andere Länder eine Tradition, die in dieser Sache zu selbstbewußten Positionen geführt hat. Wo jemand nicht dem Genre Gegenwartskunst zuzurechnen wäre, stehen andere Positionen frei, auf den selbstbewußt Platz genommen wird.
Was ist Kunst? Es gibt einen westlichen Kunstkanon, der mindestens seit Marcel Duchamp auf Entwicklungen gestützt ist, mit denen sich sehr viele Menschen bei uns nicht einlassen möchten, obwohl sie kreative und künstlerische Praktiken pflegen, die oft zu einem sehr hohen Niveau der Arbeiten führen. So bestehen (durch selbstgewählte Distanz) einige Diskrepanzen, die im regionalen Kulturgeschehen erhebliche Wirkung entfalten können.
Ich sehe in unserer Region eine dominante Präsenz von Menschen, die sich in genau diesem Sinn mit großem Engagement und auffallender Kontinuität in einem „Nahverhältnis zum Kunstfeld“ aufhalten, dabei aber keinen Notwendigkeit sehen, sich in die Diskurse zur Gegenwartskunst einzubringen oder sich in Einrichtungen der Gegenwartskunst zu exponieren. Da kommt es dann gelegentlich zu merkwürdigen Konfrontationen, die scheinbare Trennlinien zwischen „Künstlern“ und „Hobbykünstlern“ markieren, ohne daß in der Folge die Positionen geklärt und daher die Trennlinien genauer bestimmt würden. Die Diskrepanzen bleiben nebulos.
Die Agenda der Gegenwartskunst lassen sich über einschlägige Diskurse und über die Präsenz in ihren Einrichtungen sowie in vielfachen „Zwischenräumen“ durchaus darstellen. Aber was ist mit den anderen Bereichen?
Was wir heute (im Westen) unter „Kunst“ verstehen, wurde in der europäischen Antike überwiegend als Handwerk verstanden. Daß wir „Kunst“ als ein größeres Ganzes begreifen, in dem die vielfältigen Künste aufgegangen sind, ist überhaupt recht jung. Es wurzelt unter anderem in der Auffassung von einem „Gesamtkunstwerkes“, wie Richard Wagner sie entwickelt hatte. Mitte der 1960er-Jahre verwarf schließlich mindestens Marcel Duchamp praktisch alle gängigen „Regeln der Kunst“ und gab uns eigentlich bis heute einiges zu klären auf.
In dieser (polemisch verkürzten) Skizze wird schon deutlich, daß „Die Kunst“, welche ich in unseren Vorhaben der Deutlichkeit halber lieber „Gegenwartskunst“ nenne, erstens keine statische Kategorie ist und zweitens als ursprünglich „Die Künste“ = „Techné“ gemeinsame Quellen mit dem Handwerk, dem Kunsthandwerk und den „Angewandten Künsten“ hat.
Wo kommen da nun jene Praktiken zur Geltung, die als außerberufliche, kreative Tätigkeiten in der Freizeit von Menschen deren Leben bereichern sollen? Freizeit als Regenerationsfeld für die breite Bevölkerung ist ein sehr junges soziales Phänomen. Die Befassung mit Kunst war eben noch den Eliten und deren Personal vorbehalten.
Der Begriff „Hobbykunst“, wie er in Österreich quasi hinter dem Rücken jener angewandt wird, die sich im solchen Sinn kreativ betätigen, ist aus verschiedenen Gründen in unserem Kulturprojekt nicht brauchbar. Hauptsächlich weil ihn jene, auf die er angewandt wird, meist energisch ablehnen. Dann aber auch, weil Kunstschaffende der Region, die sich selbst explizit auf das Feld der Gegenwartskunst reklamieren, weder für ihre Positionen noch für jene der „Amateure“ (= franz. für Liebhaberinnen und Liebhaber) Kriterien nennen und darüber Diskurse führen.
Es gibt zumindest keine öffentliche Diskurse dazu. Ich habe in den letzten Jahren kaum Weg gefunden, in der Sache auch nur ein Mindestmaß an Debatten zu initiieren. Also habe ich mich an anderen Orten umgesehen, wie da mit der Angelegenheit verfahren wird.
Als das durch Europa wandernde „International Symposium on Electronic Art“ („ISEA“) in Belfast tagte, hat diese Stadt in vielfacher Hinsicht tiefe Eindrücke bei mir hinterlassen. Sie hat eine Besonderheit, die für unsere Sache Relevanz zeigt. In Belfast residiert eine sehr Einrichtung, von der sich hilfreiche Anregungen für das Thema beziehen lassen.
Das „Arts Council of Northern Ireland“ ist den „Voluntary Arts“ gewidmet: „Our mission is to place the arts at the heart of our social, economic and creative life“. Hier ist also (andere Kulturgeschichte!), von Arts und nicht von Art die Rede, von Künsten, nicht von der Kunst.
„Es ist unsere Mission, die Künste im Herzen unseres sozialen, wirtschaftlichen und kreativen Lebens zu plazieren“: www.artscouncil-ni.org. In einer Informationsschrift des „Arts Council of Northern Ireland“ heißt es präzisierend:
„Voluntary Arts is the term for the arts activities that people carry out nonprofessionally, for self-improvement, social networking, leisure and pleasure purposes. The art form range is wide and includes dance, drama, literature, music, media, visual arts, crafts, applied arts, folk arts and festivals.“
Voluntary Arts wird als ein Ausdruck für künstlerische Aktivitäten gebraucht, die von Menschen außerberuflich gepflegt werden, also nicht mit Broterwerb verknüpft sind: „Zur eigenen Entwicklung, für soziales Netzwerken, zu Entspannung, Muße und Vergnügen.“ Die erklärte Bandbreite beinhaltet nebst diversen Kunstformen auch Volkskunst und Festivals.
Die professionell begleitete Bewegung der Voluntary Arts legt ein selbstbewußtes Auftreten der Akteurinnen und Akteure nahe: „Voluntary Arts activity plays a vital role in promoting health, wellbeing and community cohesion, contributing an estimated 50 million to the UK arts economy each year. More than half of the UK’s adult population is engaged in some form of voluntary arts or crafts …“
Die Aktivitäten der Voluntary Arts „spielen eine vitale Rolle in der Betonung von Gesundheit, Wohlbefinden und sozialen Zusammenhalt“. Mehr als die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung des Vereinigten Königreiches sei auf diese oder jene Art mit Voluntary Arts und Kunsthandwerk befaßt. Man weiß auch verschiedene Prominenz des Kunstgeschehens zu nennen, die ihre Wurzeln im Reich der Voluntary Arts hat.
Wir haben also die Möglichkeit, aus diesem Bereich Inspiration zu beziehen, wie sich die verschiedenen Felder als unterschiedlich darstellen lassen, ohne daß wir in Wertungen fallen, bei denen jemand sein Gesicht verlieren muß. Die Tätigkeitsbereich sind unterschiedlich, werden von verschiedenen Intentionen belebt und verlangen nach durchaus unterschiedlichen Strukturen und Begleitmaßnahmen. Aber es gibt Berührungspunkt und vor allem, wie schon erwähnt, GEMEINSAME QUELLEN.
Diese programmatische Notiz stammt aus der
Kalenderwoche 11 von 2010: log #255: kunst ost