Am Vorabend der Wahl
Nun ergab sich eine kulturpolitische Markierung. Man kann es nicht erfinden. Ich staune über diese 26. Kalenderwoche 2020 im Übermaß. Aber der Reihe nach. An diesem Sonntag findet die Gemeinderatswahl statt, auf die wir mitten im Lockdown verzichten mußten. War all das ein Weckruf für unser politisches Personal?
Es ist ganz klar, Kulturthemen sind nicht einmal im Ansatz wahlentscheidend. Sie dienen bestenfalls als dünn gesäte Stichworte in den Aussendungen. Ich stehe gerade im 18. Jahr meines auf 20 Jahre angelegten Kunstprojektes „The Long Distance Howl“ und bin mit Rückblicken zugunsten einer Bestandsaufnahme befaßt. Wir leben in Zeiten einer Seuche und haben gerade einen rund dreimonatigen Lockdown absolviert.
Ich habe in einem eigenen Protokoll Notizen zu den Ereignissen zusammengefaßt; siehe: Die Novelle. Dazu gehört ein kulturpolitscher Diskurs, der in einer eigenen Liste zusammengefaßt ist: [Link]
Gestern die Vernissage mit Arbeiten von Chris Scheuer. Morgen die Gemeinderatswahl. Dazwischen dieser Tag der wiedergekehrten Hitze, über der nun ein Gewitter grollt. Ich hatte im Schloß Freiberg den Auftakt der Vernissage zu liefern: „Martin Krusche spricht: Die Kunst schweigt nie!“ Hier die Dokumentation zu dieser Session: [Link]
Am Vormittag lag ein Flugblatt der SPÖ Gleisdorf im Postfach, das mich völlig ratlos sein läßt. In dieser Schrebergarten-Idylle fehlt übrigens jeder Hinweis auf das Thema Kultur. Davor war ein Achtseiter der FPÖ angekommen.
Da wird Kultur auf die üblich ahnungslose Art erwähnt, denn es gibt keinerlei wie immer gearteten Hinweis, was man bei Gleisdorfs FPÖ damit meint: „Förderung der einheimischen Künstler und der Volkskultur“. Mir ist aus den letzten Jahrzenten auch kein Praxisbeispiel bekannt, was FPÖ-Leute unter diesem Titel gerne tun würden. Sie tun nichts.
Der amtierende Bürgermeister Christoph Stark (ÖVP) erwähnte Kultur eben als eines der Stichworte, das zitiert wurde: „Es war mir eine besondere Ehre Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka in Gleisdorf zu begru?ßen.“ so Abg. z. NR. Bgm. Christoph Stark und sagte „Industrie und Wirtschaft, Kultur, Geselliges sind wichtige Aspekte in der Stadt und Region. Zusammenleben und gemeinsam gestalten – es ist schön hier gestalten zu können“ im Gespräch mit Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka. [Quelle]
Nun kann man Stark attestieren, daß er tatsächlich ein persönliches Interesse an Kunst hat und bei einschlägigen Veranstaltungen auch bleibt, um sich mit Inhalten auseinanderzusetzen. Doch sein politischer Referent Alois Reisenhofer konterkariert das ausgerechnet am Vorabend der Wahl mit einer verblüffenden Kuriosität.
Ich hab eben erst in ein Recherche festgestellt, daß die Kulturreferenten aller acht maßgeblichen Städte der Oststeiermark den ihnen politisch anvertrauten Personen, den Kunst- und Kulturschaffenden, bezüglich Lockdown und neuer Situation absolut nichts zu sagen haben. Das ist eine Schande und womöglich Ausdruck grassierender Kompetenzmängel; siehe dazu: [Link]
Ich hab ferner schon in mehreren Notizen dargestellt, wie uns derzeit eine neue Bourgeoisie ratlos im Weg steht und mit völlig veralteten Ansichten vom Kulturbetrieb die allgemeine Entwicklung hemmt; siehe: „Die neue Bourgeoisie“!
Nun berichtete der amtierende Gleisdorfer Kulturreferent Reisenhofer am 27.6.2020 auf Facebook, es habe „Ein vergnüglicher Abend nach langer ‚kulturfreier‘ Zeit!“ stattgefunden.
Kulturfrei? Wo war er denn, als wir primären Kräfte einerseits unsere abstürzenden Existenzen stabil bekommen mußten und andrerseits an weiterführenden Kulturprojekten und -veranstaltungen gearbeitet haben?
Reisenhofer beschreibt es so: „In einer privaten Lesung beim sehr kulturaffinen Ehepaar Monika und Hartwig Stark las die Gleisdorferin Eva Malischnik aus ihrem kürzlich erschienenen Debütroman ‚Sommer im Bunker‘. Sie zeichnet in ihrem Roman ein charmant-ironisches Bild des Schulalltags. Musikalisch perfekt begleitet von Erwin Mauerhofer und Harry Vorraber.“
Was ist das? Zynismus? Spott? Ignoranz? Ein situiertes Kleinbürgertum verzieht sich ins Privatleben und läßt uns wissen, daß wir nun in einer „kulturfreien Zeit“ gelebt hätten? Um es mit Jandl zu sagen: Werch ein Illtum!
Hab ich was vergessen? Die Grünen posteten kürzlich: „Demokratie braucht Kommunikation, braucht Diskussion, braucht Reibung und am Ende einen klugen Konsens. Noch eine Woche bis zur Wahl.“ Klingt gut. In einer Aussendung der Grünen findet man unter den Kandidaten zum Beispiel „Katharina Schellnegger, Kulturmanagerin“. Oder: „Josef Tschida, Künstler und Landwirt, Gemeinderat seit 2019“. Aber man findet bei dieser Fraktion keinen Hinweis auf eine kulturpolitische Position.
Ich darf vorerst aus all dem schließen: Falls wir den Lockdown wegen der Seuche als Weckruf verstehen, haben ihn in Gleisdorfs Politik leider etliche Funktionstragende nicht gehört. Aber vielleicht kann ich nach der morgigen Wahl erfahren, wie man sich in dieser Stadt die Zukunftsfähigkeit des Gemeinwesens ohne kulturpolitisches Konzept vorstellt.
— [Stadt-Land] [Die Vernissage] —