Ein Leben als Bohemien?

[Ein Auszug aus einem Facebook-Dialog. Ablinger ist Möglichmacher bei monochrom Propulsion Systems, LLC.]

Franz Ablinger (Tuch: Karin Frank)

Ablinger Franz: Philipp Blom gestern in der #Ö1 Sendung Punkt Eins sinngemäß: kaufen Sie die CD des Künstlers, um ihn zu unterstützen. Als Künstler will ich keine Unterstützung, sondern dass ein Produkt gekauft wird. Oder gehe ich etwa zum Fleischhauer und sage: ein Leberkässemmerl bitte, weil ich will Sie unterstützen? (und draussen werfe ich es weg?) Dieser shift im Framing wäre das Wichtigste…

Esel Lorenz Seidler: und umgekehrt müssten die künstler sich als „Unternehmer“ begreifen – und zB die diversen Töpfe dafür AUCH abgrasen.

Ablinger Franz: Das Problem ist, dass wir Künstlerinnen selbst glauben, alles gratis machen zu müssen. Dass es so üblich sei, in Sack und Asche zu gehen. Geld wäre nicht so wichtig. Das ist so lange gut gegangen, so lange das Sozialsystem gut funktioniert hat und man ein Zimmer mit Klo am Gang um fast kein Geld bekommen konnte. Heute sind die wirtschaftlichen Voraussetzungen für ein Leben als Bohemien nicht mehr gegeben… Die Einstellung als Künstler hat sich – zu recht – nicht geändert. An sich ist die Selbstvermarktung ja keine heutige Erfindung. Was in der bildenden Kunst fehlt ist der hegende Mittler zwischen Künstlerinnen und Markt. Agent, Manager, Patron, wie immer du diese Rolle nennen magst. Jemand, der nicht nur Geld aufstellt, sondern auch dafür sorgt, dass die Arbeiten korrekt platziert und gefördert werden. Galerien können das nicht, das sind reine Handelsplätze.

Andrea Maria Dusl: Mir ist der Duktus der ganzen Sendung ziemlich unangenehm gewesen. Diese betuliche Art, Künstler als zerbrechliche Wesen zu sehen, die von bürgerlichen Gutmenschen mit Ästhetik-Kompetenz vor der Armut gerettet werden dürfen. Dürfen. Wenns halt beliebt und nicht zu sehr irritiert. Das Retten…

Ablinger Franz: Der Genuss von Kunst ist heute ein Gnadenakt, keine Dienstleistung. Weil Kunst kein Bedürfnis mehr ist. Wenn ich Hunger habe, koche ich oder lasse mich bekochen. Das Kunstbedürfnis wird aber nicht mehr systematisch geweckt, das ist das Problem. Wir haben eine Menge Leute, die es sich leisten könnten, Kunst zu kaufen. Aber die interessiert das nicht. Ein Symptom ist das Kunstdepot, die Kunst-Freihandelszonen, die sich rund um Flughäfen gebildet haben. Die Zollausschlussgebiete für Kunst. Dazu gebaut, Kunst wegzuschließen. Früher wurde die Kunst gekauft, um sich damit zu umgeben und sich damit zu brüsten. Heute wird die Kunst gekauft, weil zu viel Geld da ist, weil es keine andere Anlageform gibt. Und es stellt sich die Frage: womit umgeben sich die Leute? Wie wollen sie wohnen, um sich inspirieren zu lassen? Die derzeitigen alltäglichen Zoom-Konferenzen lassen tief in Wohnungen blicken.


[martin krusche: ich hab franz ablinger um erlaubnis gefragt, diese passage in meine kleine bestandsaufnahme einzugliedern. vor allem auch, weil mir die repliken von eSeL lorenz seidler und andrea maria dusl sehr zusagen, um gesamt ein statement zu ergeben, das außerhalb eines jammertales erklingt. das ist sehr genau, was mich bezüglich einer nächsten kulturpolitik beschäftigt. selbst zu klären, was die kunst sei und was unsere profession sei, welche rahmenbedingungen dafür nötig sind.]

Ablinger Franz: Keinerlei Einwände. Ja, es ist ein Element des steten Versuchs, Facebook etwas von Katzen und Rant wegzubringen. Das feedback, das ich so erhalte, bestärkt mich darin.

Ich habe heute im Posting noch das korrekte Datum der Sendung – samt link zu 7 Tage Ö1 – ergänzt. Und kann noch als Hintergrundinformation dazu sagen:

Die Filmemacherin, Autorin und Zeichnerin Andrea Maria Dusl war meine Kollegin an der Angewandten im Doktoratsstudium bei Ernst Strouhal.

Lorenz Seidler, nach seinen Initialen auch eSeL genannt (die Groß/Kleinschreibung ist wichtig!) ist unser Nachbar im Museumsquartier und Haus- und Hoffotograf der Wiener Kunstszene. Er führt auch den Terminkalender der Kunstszene in Wien.

+) „Tosende Stille – Musikerinnen und Musiker im Lockdown“ (19.5.2020, Gestaltung: Philipp Blom)
+) Ein Feuilleton (Kulturpolitik auf Kunst Ost)

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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