Der Wahlkampfbaum

Menschen lassen sich ihre Bemühungen in verschiedenen Währungen bezahlen. Geld ist nur eine davon. Sichtbarkeit ist eine andere Währung. Medieninteresse oder Sozialprestige sind weitere Währungen, in denen man entlohnt werden kann.

Wenn also in Gleisdorf kürzlich zwischen Rathaus und Service-Center das Pflaster aufgerissen wurde, um den Boden für einen Baum zu bereiten, dann ist das nicht nur dem Mikroklima dieses Platzes gewidmet. Der Bürgermeister und Parlamentarier Christoph Stark setzt derzeit medienwirksame Akzente, um Präsenz und Wirkmächtigkeit der oststeirischen ÖVP auszudrücken. In wenigen Tagen wird der steirische Landtag gewählt, erhält das Bundesland anschließend einen neuen Landeshauptmann.

Das ist also definitiv ein Wahlkampfbaum, ein smart gewähltes Thema, da Klimafragen momentan enorme Öffentlichkeitswirksamkeit haben. Und es ist eine weit angenehmere Wahlkampfgabe als die völlig unnötigen, weil zu billigen Kugelschreiber oder was sonst so als Imageträger kursiert. Mich interessieren solche Motive aber aus anderen Gründen. Ich bin davon fasziniert, wie sich die Stadt verändert, wie sich über die Jahre hinweg ein Gemeinwesen in seinen harten Strukturen abbildet.

Also hab ich mir die Bauschritte angesehen, mit denen die gepflasterte Fläche aufging und der Baum schließlich da stand. Bei einem dieser Momente kam ich mit einem vormaligen Maurer ins Gespräch, der den Wahlkampfzusammenhang von sich aus erwähnte und bestehende Politik kritisierte.

Es würden in Gleisdorf zu teure Wohnungen gebaut, die Mieten seien zu hoch, es werde für die ärmeren Leute zu wenig getan. In dieser Stimme lag keine Mißgunst, sondern ein Unmut über das Gepränge, das der Mann um sich empfand. Allein darin erteilte er mir eine Lektion, weil ich nun mit einem üblichen Lamento gerechnet hatte. Es kam aber anders.

Man könnte meinen, da sudert einer vor sich hin, der ganz offenkundig nicht so aussieht, wie man sich „Leistungsträger“ vorstellen mag. (Diese abschätzige Vokabel arrivierter Mittelschichtler.) Doch so war es nicht. Auch der Begriff Mittelschicht löste bei diesem Mann keine Reaktion aus, er hatte den Fokus ganz bei seinen Erfahrungen.

Wir setzten dort an, wo einer der gerade beschäftigten Arbeiter kurz einstimmte, zustimmte: Früher konnten sich auch Hackler ein Haus bauen, wenn die Familie zusammenhalf. „Und wenn er vielleicht von seinen Leuten ein Grundstückl bekommen hat.“

Heute braucht ein Schöpfer nimmer von einem Haus träumen, außer er erbt was. Dann brach etwas aus dem Mann hervor, was mich in seiner Heftigkeit überrascht und berührt hat. Nein, keine Klage über den jetzigen Zustand der Welt.

Was ich zu hören bekam, handelte von der Verletzung, die sich in ihm eingenistet hatte, weil er als Kind einer so armen Familie angehört hat. Der ewige Mangel, oft Hunger, kein Geld, die völlige Bedeutungslosigkeit.

„Ich bin im Wald geboren worden.“ Die Mutter ein Dienstbot. Also eine Magd. Damals haben viele Frauen nach einer Geburt die Arbeit noch am selben Tag wieder aufgenommen. Die Gesellschaft war hart, die Leute waren hart im Nehmen.

Sechs Kinder? So ungefähr. Wahrscheinlich auch manches kein Jahr alt geworden. Fleisch? „Hat‘s nicht gegeben.“ Immer irgendwie zu wenig auf dem Tisch. Ungefähr acht Kilometer Schulweg. Schlechte Schuhe. Dünnes Gewand. Und die Verachtung.

Heute? Die Wirbelsäule. Die Gelenke. Eh klar. „Alles hin.“ Man sieht ihm an, daß er sein Geld beinander halten muß. Aber was ihm heute noch ins Gesicht geschrieben steht, ist der Kummer über jene Kränkungen, die man als armes Kind erfährt. „Das vergißt man nie“, hat er mehrmals gesagt. Und es waren dann auch seine letzten Worte an mich, als er sich verabschiedete, auf sein Rad stieg und fortfuhr: „Das vergißt man nie.“

— [Das politische Feuilleton] —

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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