Identitäre und Friseure. Es lohnt sich, ein wenig darüber nachzudenken. Was macht eine bürgerliche Salondame mit einer Fackel in der Hand? Natürlich hat sich der Rechtsextremist Martin Sellner gefreut, daß Wiens Stadträtin Ursula Stenzel auf der Gedenkfeier der Identitären Bewegung eine Rede hielt.
Daß die Enkelin eines jüdischen Kantors dabei den einstmals engagierten Antisemiten Karl Lueger ausdrücklich gelobt hat, könnte einen irritieren. Da aber der Antisemitismus (gleich anderen Spielarten von Rassismus) ein völlig irrationales Konzept ist, bedarf das völlig instinktlose Verhalten von Frau Stenzel keiner Erklärung. Es muß nicht schlüssig sein.
Derlei irrationales Verhalten funktioniert für solche Menschen als ein Ausdruck der Praktikanten und Herolde skurriler Partikularinteressen, die sich gelegentlich zu größeren Haufen zusammenrotten, um es kuschelig zu haben. Intellektuelle Selbstachtung spielt dabei keine Rolle. Es geht um Bekenntnisse.
Was also Frau Stenzel von ihrem Wunsch nach Gedenken faselt, ist eine Mischung aus Privatmythologie und unzeitgemäßer Propaganda. Eine billige Ersatzhandlung, statt sich politisch den dringenden und drängenden Fragen wie Problemen unserer Zeit zu stellen. Geschichtsklitterung statt politische Zukunftsfähigkeit. Quasi die billige Version, um ein gutes Gehalt zu rechtfertigen.
Mein Großvater Richard war Soldat eines Kaisers. Mein Vater Hubert war Soldat eines Tyrannen. Ich war Soldat einer Republik. Meine Identität als Österreicher konnte sich in realer sozialer Begegnung mit Menschen entwickeln, die extrem unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben, was Staatsform und Wir-Konstruktion angeht.
Was immer weiter zurückreicht, ist nicht mehr greifbar, auch wenn zu notieren wäre: das Österreich der Habsburger war seinerzeit schon, was Europa heute ist, nämlich multiethnisch, voller kontrastreicher kultureller Gegebenheiten, die gelegentlich auch kollidierten. Heute würde man sagen: Business as usual.
Daß gegenwärtig ein paar junge Leute mit gut sitzenden Frisuren ihre Identität an Leuten ausrichten, die 1683 in Wien festsaßen, als Osmanen die Stadt belagert haben, ist völlig an den Haaren dieser gut sitzenden Frisuren herbeigezogen. Das gilt um so mehr für die alte Dame, der ich dringend einen neuen Friseur empfehlen möchte.
Martin Sellner sagte nun bei „Fellner live“, Erinnerung sei für seine Leute ein Auftrag. „Was wir draus lernen ist, daß wir unsere Traditionen, unsere Lebensart auch verteidigen müssen.“ Das ist gerne und häufig so dahingesagt, doch bleibt es völlig nebulös, inhaltsleer. Die österreichische Bevölkerung des 17. Jahrhunderts, hatte keine Erfahrungen wie wir sie machen, kein nationales Selbstverständnis, das unserem vergleichbar wäre. Was da durch die Zeiten Kontinuität hat, ist vor allem Ideologie der Herrschenden.
Untertanen jener Zeit und Staatsbürger von heute zeigen nur ganz wenige Schnittpunkte. In der Feudalzeit waren unsere Leute hierarchisch in einer ständischen Gesellschaft aufgestellt. (Ob Stenzel weiß, was das ist? Ich empfehle für alle Fälle gerne die Lektüre von Ernst Bruckmüllers „Sozialgeschichte Österreichs“.) Da hatten der Deutsch sprechende mit dem slowenisch-, kroatisch- oder ungarischsprachigen Bauern turmhoch mehr gemeinsam als mit seinem steirischen Landesfürsten.
Es ist mindestens amüsant, wahrscheinlich aber lächerlich, wenn Sellner sagt, es gehe um „die Pflege unseres kulturellen Gedächtnisses“, wo er und seine Leute sich freuen, „daß wir die Schlacht damals gewonnen haben gegen die Türken“. (Wir? Wir haben gar nichts gewonnen! Wir mußten uns zum Glück noch in keinem Krieg bewähren.)
Wenn ich über die historischen Osmanen nachdenke, dann nicht über jenen Teil, der es damals bis Wien geschafft hat, um dann nie mehr weiter in den Norden Europas vorzustoßen.
Die Haare, an denen diesbezüglich gezerrt wird, müssen auch noch aushalten, daß deren regulären Truppen, plus die irregulären Avantgarden (Akinci etc.), mit heutigen Muslimen aus aller Welt verglichen werden. Mumpitz!
Das wird übrigens nicht besser und stichhaltiger, wenn man dabei den türkischen Staatschef Erdogan erwähnt. Der assoziiert sich gerne mit den Osmanen, weil er der Typ des aufgeblasenen Männchens ist, das seine politische Silhouette mit historischen Bezügen vergrößern möchte. Das tun ja auch die Identitären in Österreich; sich mit holpernden Geschichtsbezügen aufplustern. (Das Abendland, von dem solche Konsorten hier wie dort daherreden, gibt es längst nicht mehr.)
In solchen Flausen werden diese Posierer und Possenreißer europaweit, so weit ich sehe, bloß noch von nationalistischen Serben übertroffen. Die feiern nach wie vor den Jahrestag der schlimmsten Niederlage ihrer Ethnie gegen die Osmanen, die Schlacht auf dem Amselfeld (Kosovo polje) im Jahr 1389. So schlecht kann es um ein nationale Identität bestellt sein, daß man in solcher Art vor der Geschichte auf den Knien herumrutscht.
Wenn ich als Steirer über Osmanen nachdenke, fallen mir dazu eher kühne Bauersleute ein. Die waren im Raum der vormaligen Militärgrenze zum Beispiel den „Rennern und Brennern“ ausgesetzt, einer unbezahlten Soldateska, dei auf eigene Rechnung marodierte, die lange Zeit eine ständige Bedrohung dieses Bevölkerungsteiles blieb.
Die steirischen Landeshauptleute waren für diese Militärgrenze zuständig. Damit erklärt sich das Landeszeughaus in Graz, eine weltweit einzigartige Waffensammlung, die in den 1640er Jahren eingerichtet wurde. Diese Militärgrenze trennte das Reich der Osmanen von dem der Habsburger.
Wie bedenkenlos die jeweiligen Herrscher auf Gebiete des erklärten Feindes zugreifen mochten, belegt in weit jüngerer Zeit die österreichische Okkupation der bosnischen Provinzen Bosnien und Herzegowina. Dem verdankt sich übrigens der Umstand, daß Österreich den Islam als Religion anerkannt hat.
Dem verdankt sich ferner, daß des Kaisers härteste Partie im Ersten Weltkrieg die Zweier-Bosniaken waren. Das in Graz stationierte Zweite Bosnisch-Herzegowinische Infanterieregiment. Es blieb die am höchsten dekorierte Einheit des Großen Krieges mit einem damals sehr populären Kapellmeister.
Eines der bekanntesten Werke von Eduard Wagnes ist der Marsch „Die Bosniaken kommen“. Weniger bekannt, aber bemerkenswert, ist sein „Puch-Marsch“, dem Parade-Industriellen und ethnischen Slowenen Johann Puch/Janez Puh gewidmet.
Apropos Marschmusik. Die geht historisch unter anderem auf die Kriegskapellen der Janitscharen zurück. Die Yeñiçeri waren eine Elitetruppe der Osmanen, im 14. Jahrhundert eingeführt. Was aber die Musik angeht, könnte auch beachtet werde, daß Johann Strauss nicht nur in Wien Triumphe gefeiert hat, sondern auch in Istanbul.
Hammamizade Ismail Dede Efendi, der vermutlich bedeutendste Komponist klassischer osmanischer Musik, war davon so beeindruckt, daß sich diese Erfahrung der Begegnung mit Strauss in seinem Werk niederschlug. (Darauf könnten Sellner und Stenzel doch ein wenig stolz sein.)
An Stenzel und Konsorten bestaune ich manchmal, daß sie sich mit großen Gesten hervortun, um unsere Kultur und Identität zu beschwören, aber sie erwähnen stets nur einen Bruchteil all dessen, was unsere Kultur und Identität ausmacht. Na, vielleicht wissen sie einfach nicht mehr darüber. Doch eines muß man diesen Leuten lassen: die Friseure haben an ihnen allen gut zu tun.