Haben wir nun allgemein beschlossen, Polemik über das Argument zu stellen? Ist das so? Geben wir uns einfach dem hin, was uns aus der Antike als ein Bedürfnis nach Brot und Spielen überliefert wurde?
Die gegenwärtigen Zustände der Bundespolitik in Österreich und die kommenden Wahlen erweisen sich als großes Festival der Angriffslust. Ich bestaune, wer alles in meiner nächsten Nähe zunehmend schäbige Seiten zeigt, um den bevorzugten Club, dem man selbst anhängt, zu feiern, um alle anderen Clubs schlechtzureden.
Da erlebe ich derzeit via Social Media situierte Herren, die sich seriös geben und gerne im Kreis der Familie zeigen, sich also mit Frau und Kindern dekorieren. Es erreichen mich pöbelnde Gefühlsathleten, die kritisches Denken offenbar für etwas Schmerzhaftes halten und daher meiden. Bildungsbürgerliches Personal aller Gewichtsklassen zeigt mir, wes Geistes Kind man ist. Mäßigung gilt offenbar als lächerliche Schrulle.
Sozialpädagogische Arbeitskräfte, berufsbedingt lässig und obercool, hauen populistische Kerben, die ich von den Schrammen veterländischer Haudegen nicht mehr unterscheiden kann. Im Kulturvölkchen tummeln sich auch genug bummelwitzige Überflieger, die teilweise ihre letzte Garnitur Hemmungen verschenkt haben und Statements rausschieben, daß man an ihrem Verstand zweifeln möchte.
Manchen gilt anscheinend: lieber einen Freund verlieren, als eine schneidige Pointe verschenken. Es hagelt Gezänk, Beschimpfungen, herabwürdigende Post in dicken Paketen. Dabei wäre es einfach. Wenn mir an einem Andersdenkenden etwas mißfällt: Wörtliches Zitat und Kommentar.
Genügt das nicht, um Fragen zu bearbeiten und den Status quo zu klären? Sind einige erbärmliche Figuren in den Reihen von Österreichs Spitzenpolitik ein akzeptabler Grund, stattdessen all diese Grobheiten zu produzieren und auszusenden?
Blöd! Denn wie immer, wenn eine Gesellschaft sich brutalisiert, vergeht das hinterher nur sehr langsam, falls sich genug Menschen darum bemühen. Brutalisierung durchdringt alle Lebensbereiche, was zwingend bedeutet, sie erreicht früher oder später auch jene, die sie leidenschaftlich hervorgebracht haben.
An den Modalitäten und Verlaufsmustern ist nichts neu. Wir kennen und üben das wenigstens seit der Antike unter der Begleitung von Diskursen über die Diskurse. Schopenhauer hat, in Kenntnis der Arbeiten des Aristoteles, um 1830 die erlaubten und unerlaubten Mittel eines Streitgesprächs erhoben und als Eristik zusammengefaßt. (Der Begriff bezieht sich auf Eris, die griechische Göttin der Zwietracht und des Streites.)
Ist eine Debatte der Wahrheitsfindung gewidmet? Geht es um Erfolg in einem Streitgespräch, darum, sein Gegenüber zu schlagen, womöglich zu zerstören? Es ist diese seit Jahrtausenden überlieferte Kunst Recht zu behalten, mit der sich momentan kuriose Menschen demonstrativ in den Dienst der Demokratie gestellt haben.