Vertreiben oder überwältigen

Ein politisch motivierter Mord läßt den deutschen Historiker Peter Tauber in einem Tweet verkünden: „Feinden unserer Verfassung, die ihre Grundrechte zum Kampf gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung missbrauchen, müssen die Grundrechte entzogen werden können.“

Ich kann nicht erkennen, wie man jemanden vom Wert demokratischer Grundrechte überzeugen möchte, indem man sie ihm oder ihr entzieht. Aber ich verstehe, daß diese Option den Eindruck erweckt, so können man den aktuellen Problemen beikommen. Eine bequeme Haltung.

Vor dreißig Jahren wäre Taubers Idee vermutlich schwarze Pädagogik genannt worden. Die etwas polemischere Deutung solcher Erziehungsmethoden könnte so lauten: Ich schlag dich, bis du lachst. Das sind Konzepte vom Schlachtfeld, wo auf Gewalt mit Gewalt geantwortet wird. Die alte Faustregel besagt: abschrecken oder entwaffnen. Also: vertreiben oder überwältigen.

Das mag sich empfehlen, wenn mir ein bewaffneter Aggressor entgegentritt. Aber hat die Geschichte Europas keine ausreichenden Hinweise erbracht, daß man Ideen mit Sanktionen nicht bekämpfen kann?

Peter Tauber ist Jahrgang 1974. Er wird sich daher mutmaßlich in den 1980er Jahren noch nicht damit beschäftigt haben, wie eine Neue Rechte in Europa aufgebrochen ist, sich kulturell neu erfunden hat, um politisch wirksam zu werden.

Die Rechtsextremen unter ihnen, die unverhüllten Gewalttäter, manche dabei Mörder, sind bloß das Fußvolk. Sie sind das, was in unterhaltsamen Mafia-Filmen Paesano genannt wird, also Dörfler. Die landen in keinen Führungspositionen, sondern machen Drecksarbeit. Diesen Leuten sollte unser Gerichtsbarkeit gewachsen sein.

Dann sind da noch andere, aus denen die Verachtung der Demokratie hervorquillt. Ihr Überlegenheitsgefühl braucht Feindbilder und Ideen vom „Unterlegenen“. Der Herrenmensch bastelt sich seinen „Untermenschen“. Daran ist nichts neu.

Wenn wir uns nicht zutrauen, solche Leute inhaltlich zu stellen, statt mit Sanktionen zu bedrohen, werden wir die Demokratie nicht schützen können. Wie sich dabei Verbote als vorrangige Mittel der Wahl erweisen sollen, ist mir schleierhaft.

Gerade da, wo es um Ideologie geht, um Geisteshaltungen, um Weltbilder, haben sich Law & Order-Konzepte – soweit ich sehen kann – noch nie als tauglich erwiesen. Aus wie vielen Staaten der Welt erhalten wir laufend Berichte, daß sich Menschen eher einsperren lassen, als in ihrem Denken nachzugeben?

Manche nehmen für ihre Geisteshaltungen in Kauf, unzählige Peitschenhiebe zu kassieren, was eine entsetzliche Qual ist und Menschen töten kann. Andere gehen in Lager, in den Knast, nehmen Demütigungen und Mißhandlungen auf sich oder riskieren einen Kopfschuß. Aber das Denken!

Ich rechne damit, daß sich viele Andersdenkende von keinen Einwänden erreichen lassen. Ich muß ihnen das in einer Demokratie zugestehen. Aber ich hab die Freiheit, Verbündete zu suchen und die Anhängerschaft der Menschenverachtung, die Herrenmenschen und ihre Wasserträger, mit vielen Menschen zu umringen, die anders denken und anders handeln. Nicht um sie zu belehren oder zu bedrängen, sondern ihnen etwas Kraftvolles gegenüberzustellen.

Ich denke, dazu müssen wir laufend neu entscheiden, was Sache unserer Gerichte ist und was wir kulturell zu regeln haben. Wer sich dieser Anforderung nicht gewachsen sieht, wer nach Maßnahmen ruft, die letztlich das repräsentieren, was sie zu bekämpfen vorgeben, bietet uns zumindest eine aufschlußreiche Situation von einiger Klarheit.

Die Grenzen zwischen den Feinden und den Freunden der Demokratie sind große Grauzonen. Diese Grauzonen müssen belebt, statt mit Maurn besetzt werden.

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Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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