„Die wichtigste politische Frage ist: Was wird aus mir?“
Gabor Steingart, Publizist
Es wird allerhand behauptet, was die Kunst zu leisten habe. Es wird auch gerne von Pflichten der Künstlerinnen und Künstler gegenüber der Gesellschaft geredet. Die Liste gängiger Zuschreibungen ist länger als man denken möchte. Und sie ist nutzlos, weil unsinnig. Gut, eine Krankenschwester soll keine Patienten umbringen, ein Polizist niemanden berauben, eine Richterin nicht bestechlich sein, ein Installateur kein Haus unter Wasser setzen etc.
Es gibt also branchenübliche Kompetenzen und Verpflichtungen, deren Einhaltung wir erwarten. Jene der Kunst sind schnell auf den Punkt gebracht: sich der Kunst zu verschreiben, keine sonst. Alles andere ist Projektion. Alles andere klären wir besser im Kontext von Mitmenschlichkeit innerhalb menschlicher Gemeinschaft.
Aus meiner Berufspraxis weiß ich: Als Künstler zählt man ökonomisch zu den gefährdeten Arten. Das muß man sich leisten können, sonst wird es einen versenken. Ich kann bestenfalls mein grundsätzliches Recht auf Broterwerb geltend machen, es gibt aber kein verbrieftes Recht auf ein bestimmtes Metier.
Alles andere halte ich für Sozialromantik; vor dem Hintergrund, daß ich den Broterwerb als soziale Kategorie einstufe. Das ist keine Kategorie der Kunst. Wer diese Bereiche locker verknüpft, muß es mir nachvollziehbar begründen. Jenseits guter Gründe beginnt Priesterschaft, die mit Glaubensgegenständen handelt. Dieser Art des Handels kann ich nichts abgewinnen.
Mein Künstlerdasein als Priesterschaft mit Sonderrechten in menschlicher Gemeinschaft? Das ist mir zu katholisch, eigentlich zu sektenhaft gedacht. Und inhaltlich betrachtet: Mir hat die Kunst selbst schon genug an Transzendenz, da will ich mich nicht auch noch selbst und persönlich zu einem Inventar der Transzendenz stilisieren.
Ich will mich in einem durchaus klassischen Sinn als Zoon politikon verstanden wissen, als politisches Wesen, das sich mit dem Gemeinwesen auseinandersetzt. In eben diesem Gemeinwesen habe ich keine speziellen „Pflichten als Künstler der Gesellschaft gegenüber“, sonder eben jene Verpflichtung, die wir jeder Bürgerin, jedem Bürger zuschreiben.
Als erfahrener Künstler habe ich freilich Kompetenzen, die kein Allgemeingut sind. Aber das trifft auf jede versierte Kraft eines beliebigen Metiers zu. Doch meine Arbeit hat eine spezielle Bedingung, von der auch mein Alltagsleben stets infiltriert wird. Das unabwendbare Augenmerk auf Folgerichtigkeit.
Das ergibt übrigens kein Derivat von Wahrheit. Die mögliche Richtigkeit ist auf die Folge bezogen, also auf einen plausiblen nächsten Schritt, nicht zwingend auf das Ergebnis. So läßt es sich knapp bündeln: Folgerichtigkeit als eine Praxis der plausiblen nächsten Schritte. Die können freilich auch Irrtümer bergen, zu Irrläufern werden.
Das ist dann halb so wild, wenn es einen selbst nicht in irreversible Katastrophen führt und wenn man Dissens als anregend empfindet. Habe ich eine falsche Entscheidung getroffen, treffe ich eine nächste Entscheidung.
Ich halte es für banal und alltäglich, mit anderen Menschen in Kontraste zu geraten. Niemand produziert Wahrheit durch das Eliminieren von Widersprüchen. Das Zoon politikon ist doch gerade durch diese Neigung zum Leben im Gemeinschaft auf den entspannten Umgang mit Dissens angewiesen.
Aber all das nimmt mich gegen Propaganda ein, macht mich empfindlich gegen verdeckte Intentionen. Solche Verfahrensweisen dienen den Hierarchien, unredlichen Ansprüchen auf Definitionshoheit, sie fördern Verteilungsungerechtigkeit; und sie sabotieren das Denken im Sinne von Kants Ausgang aus selbstverschuldeter Unmündigkeit. Propaganda betrügt.
Ich lebe derzeit in einem Abschnitt, da Österreichs Spitzenpolitik von Propaganda überquillt. Wie viele hochrangige Kräfte unseres politischen Personals habe ich nun erlebt, die mir per Medien Sand in die Augen zu streuen versuchen.
Meine Arbeit als Künstler findet unter konkreten Lebensbedingungen statt, wobei ich in Gemeinschaft nicht bloß Künstler bin. Ich bin auch Kunde und Konsument, bin Passant, bin wessen Freund und meide manche Menschen, tauge zum flüchtigen Bekannten und zum beharrlichen Kolumnisten, ich bin – wie wir alle – eben viele, bin vieles in diesem Gemeinwesen.
Deshalb bin ich auch Akteur in öffentlichen Diskursen. Diese Teilhabe am öffentlichen Leben ist unter anderem auf einer Kultur-Website verankert. Das kann sich nicht in Tweets und knappen wie heftigen Kommentaren erschöpfen.
Es braucht seine Ausführlichkeit. Es braucht Langsamkeit. Das hohe Tempo, die knappen Mitteilungen, die Propaganda und der Primat der Tat sind Mittel der Tyrannei. Ihr Gegenteil kann nicht von gleicher Art sein.