Weshalb mischt sich ein Künstler in diese politischen Angelegenheiten ein? Wozu dieses Exponieren? Wäre es nicht hinreichend, sich in diesem Metier dem Schönen zu widmen und die Menschen zu erfreuen? Oder anders gestrickt: Mindestens die letzten tausend Jahre waren Künstler der Herrschaft dienstbar und bissen nicht die Hände, von denen sie gefüttert wurden.
Einwand: so war es aber die letzten siebzigtausend Jahre meistens nicht. Es sieht eher so aus, daß es Künstler gab, bevor es Könige gab. Wenn sich heute Kunstschaffende vor den Fürsten verbeugen, werden sie das aus den alten Gründen tun, um daraus Vorteile zu ziehen.
Wenn aber die Fürsten keine besonderen Vorteile zu verteilen haben, wird nicht allzuviel Verbeugerei festzustellen sein. Was noch? Welche weiteren Verhältnisse zwischen dem Personal der Politik und dem der Kunst wären beschreibbar?
Zum Beispiel jenes der Deutungshoheit, wie sie von Deutungseliten beansprucht wird. Das wirkt, wo es um die bevorzugten Narrative einer Gemeinschaft geht, so auch eines Staatsvolkes. Deutungseliten. Was soll das sein? Kräfte der Politik, der Wissenschaft, der Publizistik, der Kunst etc. Also jene Professionen, die an den großen Erzählungen einer Bevölkerung arbeiten.
Hauptereignisse meiner Profession sind: Wissensgewinn, Erkenntnis, Poesie. Diese Ereignisse sind nicht den Fragen der Erbauung von Menschen gewidmet. Dazu haben wir eine Unterhaltungsindustrie. Diese Ereignisse sind Teil der Conditio humana und finden um ihrer selbst willen statt. Die Kunst ist eine von mehreren Optionen, solche Ereignisse im Grundlagenbereich zu halten, bevor sie in das Reich angewandter Formen und der Verwertbarkeit verschoben werden.
Das ist übrigens sehr vielen Kräften des Politischen höchst unklar und manche von ihnen halten Kunst wie Kultur für Ressourcen, aus denen sie ihre PR-Arbeit füttern.
Nebenbei: ich erwähne Staatsvolk und Bevölkerung, aber nicht Volk. Warum? Weil in Österreich die Tendenz vorherrscht, das Wort Volk ethnisch zu deuten, jedoch nicht politisch. Das ist fragwürdig, problematisch, aber ein Faktum. Nun sollte eigentlich vor allem die Politik nicht müde werden, uns den Unterschied zwischen Ethnos und Demos zu erläutern. Da aber Wahlkampfzeit ist, dominiert wieder der Nonnen-Kitsch.
Der aktuelle Top-Favorit unserer kommenden Wahlen, Sebastian Kurz, hat sich bei den letzten Wahlen damit hervorgetan, die Demokratie zu verhöhnen, indem er diese Wahl auf unredliche Art beeinflussen ließ. Sein Team überzog die gesetzlich limitierten Wahlkampfkosten um etliche Millionen, die überdies nicht aus den Kassen der damals völlig finanzschwachen ÖVP stammen konnten. Das kann man nur als die Methoden einer Bananenrepublik qualifizieren.
Darauf kann die ÖVP derzeit nicht setzen, denn zu viele Leute schauen heuer den Schatzmeistern der Parteien auf die Finger. Also setzt Kurz auf Nonnen-Kitsch.
Zu diesem Begriff habe ich im kleinen oststeirischen Ort Eichkögl gefunden, wo man die Kühnheit hat, sich als „Klein-Mariazell“ hervorzutun. Eine großspurige Geste, in der sich einige Provinzhonoratioren mit der Mariazeller Basilika und mit der Magna Mater Austriae assoziieren.
Dort, in Eichkögl, wird in einem unverhältnismäßig fetten Goldrahmen eine ziemlich große Christusdarstellung verwahrt, die aus einer sehr dubiosen Quelle stammt. Die großflächige Reproduktion eines kunstgeschichtlich vollkommen unerheblichen Gemäldes, ein Hit in Sachen Volksfrömmigkeit, ursprünglich von einer polnischen Nonne gemalt.
Sehen wir davon ab, daß die Männerdarstellung sehr wahrscheinlich einem schwülen Traum entspringt, einer quasierotischen Eingebung. Die Ordensfrau Faustyna Kowalska soll sich der Mystik verschrieben, ein Leben voller Visionen und Offenbarungen geführt haben. Das wird mit einem Tagebuch unterlegt, welches sie angeblich „auf Anraten ihres Beichtvaters und auf Jesu persönliche Bitte“ hin verfaßt habe. (Man beachte den außergewöhnlich hochstehenden Auftraggeber!) Im Internet finden sich etliche Passagen dieses Dokuments in deutscher Übersetzung.
Darin heißt es an einer Stelle explizit: „Nach einer Weile sagte Jesus zu mir: ‘Male ein Bild nach der Zeichnung, die du siehst, mit der Unterschrift: ‘Jesus ich vertraue auf Dich’! Ich wünsche, dass dieses Bild verehrt wird, zuerst in eurer Kapelle, dann auf der ganzen Welt.“ (Die Quelle als PDF-Datei.)
Wie viel an Theologiekenntnissen braucht man, um die Verehrung eines Abbildes als einen „Götzendienst“ einzustufen, der sich mit Jesus eher nicht in Einklang bringen läßt? Aber der PR-Effekt, den Faustyna Kowalska generiert hat, ist so erheblich, wer möchte darauf schon verzichten? Das hat damals sogar ein Papst gewürdigt und diesem mittelmäßigen Gemälde so höhere Weihen verpaßt. Das meine ich mit Nonnen-Kitsch.
In solche Kategorien fällt dann, was Sebastian Kurz eben geliefert hat. Erst die PR-wirksam ausposaunte Gebetsrunde der Formation Awakening Europe, einer „Initiative zur geistlichen Erneuerung Europas in Christus“. Europa, das Christen gerne für sich reklamieren, ist freilich historisch und kulturell eher nicht als ein „christliches Europa“ belegbar, da haben wir also eine Variante der Conquista auf dem Tisch.
Dazwischen dieser unsägliche PR-Coup mit Kurzens Altersheim-Besuch. Das derzeit virale Kurz-Zitat „Und, habts schon Mittag gegessen? Ja?“ [Quelle] offenbart mehr als deutlich, daß die alten Leute bloß vorgeführt wurden und ist überdies derart frei von staatsmännischer Autorität, daß man den Mann für ein Enkerl halten möchte, welches seine Oma besucht.
Der schaurigste Devotionalienbeitrag dieser Tage ist freilich das Vorführen eines Kindes, eines Mädchens, das aus einer ziemlich kuriosen Mottenkiste gesprungen sein muß. Meine eigene Vaterschaft hat mir über viele Jahre keinerlei Hinweis geliefert, daß sechsjährige Kinder auch nur den geringsten Anlaß fänden, sich mit einem Bundeskanzler zu befassen: „Dort bekam er von der 6-jährigen Linda ein besonders herzzereißendes Geschenk. Sie überreichte ihm einen Brief, den sie nach den Szenen der Abwahl des damaligen Kanzlers verfasste.“ [Quelle]
Emotional betrachtet: Das ist eine entsetzliche Fehlleistung, angesichts derer ich über Eltern staune, die ihr Kind auf solche Art in das Licht der Öffentlichkeit stoßen. Sachlich betrachtet: unerfreulicher Nonnen-Kitsch.