Der größte Grazer Boulevard ist nach jenem kaiserlichen Stabs-Chef benannt, dem ein umfassendes Versagen in den Jahren des Großen Krieges auf die Rechnung geschrieben werden darf. Die Conrad von Hötzendorf-Straße erinnert an ein Festival der Fehlleistungen, das unsere Leute zwischen 1914 und 1918 gefeiert haben.
Man hat uns wenigstens eine Potiorek-Gasse erspart, wo schon der Kaiser Franz Josef-Kai an jemanden erinnert, von dem ich keine einzige Ruhmestat zu berichten weiß. Nun also, auf dem Weg durch die Conrad von Hötzendorf-Straße ins Zentrum des Landeshauptstadt, sah ich groß aufgemacht den derzeit interessantesten Slogan des aktuellen Wahlkampfes.
Claudia Gamon, Jahrgang 1988, von den eos ist im Moment die jüngste Spitzenkandidatin im Pareteiengefüge. Daraus darf ich schließen, daß sie über ein kommendes Europa nachdenkt, in dem ich nicht mehr auf der Welt sein werde.
Dieses Europa in dereinst 40 Jahren wird wohl kaum ein „Europa der Vaterländer“ sein, womit ich hier kürzlich General de Gaulle zitiert habe. Auch kaum jenes „Europa der Nationen“, das sich die FPÖ zurechtträumt, um ihr Klientel nicht mit zeitgemäßen Überlegungen behelligen zu müssen. Und es wird nicht von einer „starken Steiermark“ geprägt sein, wie die steirische SPÖ vor sich hinträumt.
Ich erläutere das kurz. Wenn ich eingangs den Ersten Weltkrieg erwähnt habe, erinnert uns das daran, daß Österreich 1919 erstmals Nation in diesem heutigen Sinn war. Davor ist es ein halbes Jahrtausend lang ein multiethnisches Imperium gewesen. In den Jahren 1938 bis 1945 machte unsere Nation Pause und fühlte sich als Tyrannei ganz wohl. Zwischen 1946 und 1956 konnte neu geklärt werden, was denn dieses Österreich nun sein möchte.
Dabei wurde das Land zu einem sicherheitspolitischen Protektorat der USA, dessen vaterländische Kräfte, von denen die FPÖ reichlich in ihren Reihen hat, heute mit Rußlands Putin paktieren. Da weiß ich derzeit nicht, ob das zum Lachen oder zum Weinen ist.
Während Donald Trump gerade am Iran ein völlig unverantwortliches Machtspiel abarbeitet und beide, der Iran und die USA, Europa dafür in die Pflicht nehmen wollen, während China seine neue Seidenstraße etabliert, die nicht erst im Hafen von Piräus endet, reden mir FPÖ-Kräfte also von einem Europa der Nationen und das ist schlicht voriges Jahrhundert in Slogans vom Wert einer Schlaftablette. Dagegen empfinde ich den Slogan der neos sehr aufmunternd.
Bei allen Einwänden, die ich bis heute gegen die Idee der „Vereinigten Staaten von Europa“ gehört habe, finde ich es bemerkenswert, daß dieses Sujet nun einmal plakatiert wird. Vielleicht markiert das den Auftakt von ein paar öffentlichen Debatten über das Nationale, bei denen mir nicht bloß alte Semmeln, schales Bier und sonstige Ladenhüter angeboten werden, sonder wo ich in Fragen der großen Wir-Konstruktionen auf der Höhe der Zeit vielleicht einmal reinen Wein eingeschenkt bekomme und was zum Beißen bekomme.