Gemeinderat, Bundespräsident, Parlament. Als vor einer Weile jeweils gewählt wurde, war ich mehr denn je zuvor unruhig. Die Slogans, der Tonfall, die Begleiterscheinungen. Als wäre ich in ein Einkaufszentrum gestolpert und würde aus Lautsprechern mit den schlichtesten Parolen beschallt, von Brunnengeplätscher umspült, zwischen Kalenderblättern und Postkartenmotiven den Ausgang suchend. (Platons Höhle als Evergreen.)
Aber mit solchen Süßwaren will ich nicht behelligt werden. Ich bevorzuge seit Jahren eine simple Auffassung, was Redlichkeit sei. Redlich ist, wer zwischen dem Denken, dem Reden und dem Tun für ein Fließgleichgewicht sorgt. Es ist ein sehr grundlegender Modus, der kein bestimmtes moralisches Konzept bevorzugt. (Nach diesem Kriterium könnte auch ein Gauner redlich sein.)
Solche Art der Erwartung an Redlichkeit steht vor allem gegen ein Phänomen: verdeckte Intentionen. Dazu genügt mir eine Frage, deren Beantwortung mich nicht täuschen sollte: Haben Sie gute Absichten?
Was immer politische Praxis an Strategien nahelegt, um Stimmen zu bekommen und Positionen zu sichern, ich will nicht hintergangen werden und ich empfinde Propaganda als eine Zumutung, die meine Intelligenz beleidigt. Was ist mit Propaganda gemeint?
Das hat uns Adolf Hitler in „Mein Kampf“ (1943) anschaulich dargelegt: „Jede Propaganda hat volkstümlich zu sein und ihr geistiges Niveau einzustellen auf die Aufnahmefähigkeit des Beschränktesten unter denen, an die sie sich zu richten gedenkt. Damit wird ihre rein geistige Höhe um so tiefer zu stellen sein, je größer die zu erfassende Masse der Menschen sein soll. Handelt es sich aber, wie bei der Propaganda für die Durchhaltung eines Krieges, darum, ein ganzes Volk in ihren Wirkungskreis zu ziehen, so kann die Vorsicht bei der Vermeidung zu hoher geistiger Voraussetzungen gar nicht groß genug sein.“
Die Notiz „Fieberträume“ bezieht sich auf einem Abend in einem komfortablen Café am Stadtrand von Gleisdorf, wo ich jüngst in einem Gespräch meinte, wir sollten die Wahlkampfkampagnen rezensieren, wie es im Feuilleton mit kulturellen Veranstaltungen geschieht.
Ich tue das nun nicht wie eine Untersuchtung, ein Forschungsprojekt, sondern gemäß der Alltagssituationen: Was kommt mir auf den Tisch? Dabei interessieren mich hauptsächlich Printpublikationen, Drucksorten. Ich werde nicht ignorieren, was das Web aufwirft. Ich betrachte die Botschaften, wie sie mich nun alle Tage erreichen.
Zum Auftakt habe ich zwei staunenswerte Null-Aussagen herausgegriffen. Die WOCHE vom 15.5.19 bietet mir im redaktionellen Teil eine Headline, dank derer ich erfahre, die FPÖ Weiz setze auf ein „Europa der Nationen“. Das haben wir ja schon die längste Zeit und eine Änderung ist nicht absehbar. Es soll sich also an Europa nichts ändern, auch wenn die Welt sich grade fundamental ändert? Gut zu wissen! Diese Paraphrase von General de Gaulles Formulierung „Europa der Vaterländer“ hat den Charme der 1960er Jahre, klingt irgendwie gemütlich und ist frei von Aussagekraft.
Dazu paßt eine Werbeeinschaltung der ÖVP in der gleichen Ausgabe, die mir mitteilt: „Volle POWER für Europa“. Das war vielleicht vor 40 Jahren Teenager-Jargon, also in den Kontrast zu Erwachsenen-Sprech gestellt. Ich erinnere mich gar nicht mehr daran, wann ich zuletzt müde gelächelt habe, als irgendwer dieses „Auf die Dauer bringt’s nur Power“ rausgeschoben hat. Dazu fällt mir eigentlich gar nichts ein, außer einen Serientitel von ORF III zu zitieren: Operette sich wer kann!