Wenn alle brüllen, ist es nicht möglich, sich verständlich zu machen, indem man versucht, noch lauter zu brüllen als die anderen. Ein Bonmot besagt, wenn das Dreifache eines Mittel nicht fruchtet, wird auch das Zehnfache davon nichts nützten. Sollte man daher leiser werden, um sich mitzuteilen?
Gebrüll, Gezänk, Beschimpfungen. Ich kann bloß staunen, wer alles sich zu beleidigenden Tiraden hinreißen ließ. Spannungsabfuhr, indem man andere zu kränken versucht? Und das in genau dem Tempo und der Härte, wie es die neuen Medien heute erlauben?
Wer mit unserer Kultur halbwegs vertraut ist, kann absehen, daß solches Verhalten von Menschen in Legionsstärke der Gesellschaft Kerben schlägt, die wir im Gemeinwesen noch lange zu spüren bekommen werden. Was solche Hiebe bewirken, läßt sich nicht ohne weiteres ausbügeln, glätten, schon gar nicht ungeschehen machen.
Ich war dieser Tage mehr als einmal sehr überrascht, welche honorigen Leute sich zu welchen Äußerungen bewegen ließen, die dann via Massenmedien rausgingen. Es ist definitiv eine spezielle Zeit der Zorns. Selbst erklärtermaßen bürgerliche Kräfte geben plötzlich nichts bis wenig auf „bürgerliche Tugenden“, zu denen auf jeden Fall Mäßigung gehört.
Das ist übrigens ein Motiv aus den Fundamenten der Kultur Europas. In der griechischen Antike galt genau das als ein wichtiges Ideal. Heute könnte man sagen: Gewaltverzicht zugunsten des Gemeinwesens.
Es muß ja klar sein, jede Unbeherrschtheit gegenüber anderen, jede heftige Ausfall gegen Mitmenschen, jede Attacke birgt die Gefahr, eine Kette von Gewalt auszulösen. Gewalt, die sich nicht bloß im Zuschlagen zeigt, sondern auch, indem man jemandes Lebensumstände beschädigt; und seien es bloß die schon erwähnten Kränkungen.
Das sind Posen, die das Faustrecht fördern. Damit haben wir Tretminen im Gemeinwesen deponiert, im Staat vergraben, wobei schließlich niemand sagen kann, wann solche Ladungen hochgehen und wen es dann trifft.
Für den kulturellen Bereich ist das unter anderem deshalb wichtig, weil Wissens- und Kulturarbeit immer auch von jenen Narrativen handelt, mit denen sich eine Gesellschaft ihrer selbst versichert. Wer darf erzählen, wer und was wir sind?
Eine große Gemeinschaft ist das, was die breit akzeptierten Erzählungen über sie besagen. Auf der Website von Kunst Ost gibt es derzeit zwei Themenleisten, die solchen Zusammenhängen gewidmet sind:
+) Ein Feuilleton (Sammlung kulturpolitischer Beiträge)
+) Stadt-Land (Teilnehmende Beobachtung im Plauderton)
WOCHE-Notiz vom 28.5.2019