Ich gehe davon aus, daß Menschen, die uns bewirtschaften möchten, also an unser Geld wollen, sehr brauchbare Annahmen haben, welche Interessenslagen derzeit boomen, welche Themen auf breites Interesse stoßen. Spam geht in unvorstellbaren Massen hinaus, funktioniert nach dem Prinzip von Streubomben: es wird schon die Richtigen treffen. Daher halte ich Spam-Subjects für aufschlußreich.
Was soll ich mir nun unter einem Versprechen wie “Arbeitslos und Spaß dabei!“ vorstellen? Ah ja: Traumwagen, Traumhaus und Traumfrau warten auf mich. (Man beachte die Reihenfolge!) Was muß ich tun, damit mir Frauen nicht widerstehen können? „Effektive Verführung durch emotionale Texte.“ Ja? Das geht? Wow! Und falls es dennoch holpert: „Mach sie DAMIT heiß (auch wenn nichts anderes funktioniert hat).“ Womöglich mit einer Lötlampe aus dem nächsten Baumarkt seinem Wunsch Nachdruck verleihen?
Naja, man sollte nicht immer das Schlechteste annehmen. Lebensstil! Dreitausend Mücken pro Monat und nur zuhause herumsitzen, das ist doch ein Angebot. Natürlich kein realistisches. Aber die Spam-Subjects sind ja keinem Realitäts-Check gewidmet, sondern Teile einer großen Wunschliste. Ich erfahre daraus etwas über Stimmungen und Dispositionen von größeren Menschengruppen.
Nun bin ich gerade nicht so anfällig für dieses Paket namens „BMWs, Bitches und Bares“. Der junge Stutzer im Gängsta-Modus, nein, das ist kein passables Rollenangebot für mich. „Ferraris, Frauen und Feinkost bis zum Umfallen“. Wer in meiner Gewichtsklasse lebt und je tatsächlich in einem Ferrari gesessen hat, kann sich das nicht wirklich wünschen.
Woher kommt all unser Wünschen? Das hat viele Quellen und manche davon ist biologischer Natur. Wir haben eine leibeigene Destille, in der sehr feine Stoffe gebraut werden. Diese Quelle belebender Substanzen heißt lateinisch recht elegant glandula adrenalis, was auf den ganz unaufgeregten Begriff Nebenniere hinausläuft. Was aus diesem Bereich kommt, haut ordentlich rein, wäre in anderen Zusammenhängen verschreibungspflichtig oder verboten.
Wer nun in seinem „wahren Ich“ womöglich unter größter Geheimhaltung einen Hang zu „Limousinen, Luder und Luxus“ verspürt, wahlweise „Motoren, Mäuse, Muschis“, wird sich gelegentlich einen zusätzlichen Kick gönnen, um der glandula adrenalis einen Booster zu verpassen, quasi einen Kompressor, auf daß gute Säfte quellen, bis jemand „Halt!“ Schreit.
So erkläre ich mir, was wir kürzlich zu sehen bekamen, als jenes Ibiza-Video kursierte, in dem uns ein Vizekanzler seine Volksnähe auch auf visueller Ebene demonstrierte. Er gab uns den virilen, nun längst viralen Hackler in der Schrebergarten-Hütte. Man muß dort sehr leger gewesen sein, denn so einen bequemen Dresscode erlaube ich mir nicht einmal, wenn mit meine Ex ein Geburtstagsessen ausgibt. Ich hab eine Garderobe auf sehr bescheidenem Niveau und bemühe mich in manchem Momenten, meine besten Stücke zu kombinieren.
Daß man folglich einer möglichen Milliardärin wie ein Maurer nach der Schicht begegnet ist, erscheint mir enorm instinktlos. Ich kann mir keine Milliardärin vorstellen, die so einen Auftritt für akzeptabel hielte. Aber das Testosteron macht eben merkwürdige Dinge mit Kerlen.
Diesen Stoff beziehen wir Jungs allerdings nicht aus den Nebennieren, sondern hauptsächlich aus unseren Kronjuwelen. Wie hart einem all diese Substanzen über Jahre hinweg zusetzen können, hat mir gerade die eine und andere Pressekonferenz sowie Diskussionsrunde zum österreichischen Ibizagate gezeigt. (Es sollte eine Pizza geben, die so heißt. Oder einen Schirmchen-Drink: Ibizagate.)
Nein, die Herren Strache und Gudenus im Rausch ihrer Optionen, das war keine „bsoffene Gschicht“. Da haben sich zwei Männchen an sich selbst und an kühnen Phantasien benebelt, haben diesen Kick mit allem verstärkt, was sie kriegen konnten, vor allem mit der eigenen Eitelkeit. Woher ich das wissen will? Als vormals junger Kerl und gelernter Patriarch habe ich eine fundierte Innenansicht solcher Zustände.
Beachtet man die Spam-Titel, von denen eingangs die Rede war, darf angenommen werden: wir sind Legion. Wer wir? Solide ausgebildete Patriarchen mit unterschiedlich ausgeprägter Lernfähigkeit. Gut, unsereins würde in der abendlichen Begegnung mit einer womöglich sehr attraktiven Milliardärin den Bauch einziehen und genau nicht versuchen, sie mit so Zack-zack-zack-Sprüchen zu beeindrucken.
Mein Patriarchenhausverstand hätte mir geflüstert: die ist womöglich cooler als eine Schneelawine und hat als Russin garantiert Ressentiments gegenüber besoffenen, lallenden Männern in schlecht sitzenden Klamotten. Aber das ist eine andere Geschichte.