Diese Karre steht wie ein rotziger Rabauke mitten in der Stadt, mitten in einigermaßen wohlgeordneten Verhältnissen. Ein Nutzfahrzeug, vor rund 40 Jahren für militärische Zwecke entwickelt. Aus dem Puch G wurde über die Jahrzehnte unter anderem auch ein blitzendes Lifestyle-Produkt, das in einigen Ausführungen fast unerschwinglich teuer ist.
Heimo Müller, dem der Wagen gehört, sagt zu diesem Aspekt grinsend: „Gut so. Sehr reiche Leute sollen ihr Geld ja ausgeben“, und tritt dem etwas räudigen Gaul in die Eisen. Es ist definitiv eine eigentümliche Situation, über so eine kantige Motorhaube hinweg in die Gegend zu blicken. Ich hab das beim G-Wagen auch schon im Wassergraben erlebt, runter bis zum Anschlag, wo dann die Fahrzeugnase eine Bugwelle vor sich herschiebt. Das ist allerdings etwas gruselig.
Als ich einmal neben dem vormaligen Werksfahrer Heribert Dietrich in einem G zu sitzen kam, staunte ich, daß ein Zweieinhalbtonner auch fliegen kann und kassierte reichlich blaue Flecken. Ein Zitat bezüglich Dietrichs Fahrweise aus dem Logbuch-Eintrag vom 24.8.2015: „Ich vermute, das sind dann stammesgeschichtlich tradierte Ängste, die in einem hochkommen können, denn Staubfahnen, wie sie Dietrich auf die Teststrecke setzt, dürften meinen Vorfahren das Nahen der Hunnen angekündigt haben, was den Fluchtreflex zur natürlichen Reaktion macht, der über Generationen erhalten bleibt.“
Rein in die Klamm, das miese Wetter hockt einem auf den Schultern, so hat plötzlich alles seine Richtigkeit. Ich hatte mit Müller auch schon ruppigere Passagen erlebt, allerdings im großen 680er, bei dem man ein paar Stunden Fahrzeit braucht, bis die Ohren vom Motorenlärm in der Kabine so weit gequält wurden, daß irgendeine rätselhafte körpereigene Adaption wieder ein brauchbares Hörerlebnis zuläßt. Man brüllt dann zwar immer noch im Gespräch, versteht sich aber merklich besser.
So gerüttelt, fast zerrüttet, waren wir vor Jahren am Rand von Belgrad gelandet, beim Dunavski Pirat vorgefahren, unter anderem, um die „Beograd-Session„ zu absolvieren. Die konkrete Raumüberwindung als ein sinnliches Erlebnis, aber auch als Strategie, um geistige Räume zu durchmessen. Gut, ich bin nicht Alexander von Humboldt, das läuft alo viele Nummern kleiner. Aber im Fundament ein wiederkehrendes Motiv. Körperlich in Bewegung zu sein, um es auch geistig zu bleiben. Ich nehme an, das Erbe der Peripatetiker. Die Grundsituation erweist sich seit Jahrtausenden als tauglich.
Dieses Fahrzeug warf in der Abendsonne freilich einen ganz anderen Schatten als der G-Wagen. Reminiszenzen. Diesmal dagegen eine kleine Tour quer durch den Tag und in einem großen Bogen durch verschiedene Schnittpunkte. Ein vorrangiges Detail: Ein Prototyp des Puch Haflinger ist wieder aufgetaucht. Der letzte seiner Art, restauriert, fahrtüchtig. Selbst viele ausgewiesene Haflinger-Fans kennen den nicht. Es sind davon kaum Fotos publiziert worden. Die Werkszeichnung, wie ich sie auf meiner Projekt-Page zeige, ist bei meinen Recherchen im 2018er Jahr greifbar geworden: [link]
Was bedeuten Artefakte und deren Erhalt? Wir hatten dieses Thema gerade europaweit auf dem Tisch, als Notre-Dame brannte. Angesichts des möglichen Verlustes von bedeutenden Kulturgütern wurde plötzlich ein Chor besorgter Menschen laut, denen zum Stichwort Kultur irgend etwas einfiel.
Darunter in meiner Umgebung etliche Stützen der Gesellschaft, Leistungsträger, die ich schon viele Jahre nicht mehr dabei sehen konnte, daß sie sich für den Erhalt eines relevanten geistigen Lebens erkennbar engagieren würden. Kunst und Kultur wurden gerade in der jüngeren Vergangenheit wieder stärker zu Mägden des Marketings. (Dazu die Tesserakt-Einträge!)
Müller sieht das ganz unaufgeregt. War es je anders? Ist dieses „Früher war es besser!“ nicht ein populäres Phantasma? Wo und wie verpflichtet sich denn eine ganze Gesellschaft tatsächlich auf Werte, deren drohender Verlust meist dann verkündet wird, wenn die eine politische Formation gegen eine andere vorgeht?
Schließlich durften wir in die Garage, wo dieses rare Flachnase verwahrt ist. Es gibt bei den Hafisti einiges Gerede, daß man noch den einen oder anderen AP 600 gesehen haben will, aber die alten Insider aus Graz, jene Leute, die damals an all dem gearbeitet haben, wissen von keinem weiteren Exemplar. Dieses Fahrzeug wurde laut Unterlagen am 31. Juli 1958 amtlich überprüft und gemäß § 28 des Kfz-Gesetzes von 1955 genehmigt.
So konnten wir die Reise vergnügt fortsetzen und uns den Fragen der Kunst zuwenden. Das war übrigens 2015 in einem Projekt-Kontext geschehen, bei dem wir uns der Option „From Diaspora To Diversities“ gewidmet hatten. Das stütze sich damals auf einen Fragenkatalog, den ich noch heute für relevant halte und der damals keineswegs erschöpfend abgearbeitet wurde. Darunter zum Beispiel:
8) Auf welche Weise beeinflussen und formen die neuen Modelle der Mobilität, der nomadischen Erfahrungen, der häufigen Reisen, der kurzfristige Aufenthalte in anderen Ländern als Kunst- und Kulturaufenthalte, jemandes künstlerischer Praxis und Poetik? [Die Fragen]
Ich erinnere mich an 2015 als einem Jahr, in dem sich das kulturelle Geschehen der Region inhaltlich an mehreren Stellen fundamental verschoben hat. Eine Prozeß, dessen Wurzeln ich heute in den Ereignissen von 2008/2009 sehe. Ein Prozeß, der eine Summe verblüffender Anpassungsleistungen Kulturschaffender mit sich brachte.
Das wurden dann Kräftespiele, die mich in manchen Momenten völlig aus der Spur gekantet haben, was mit Müller gut zu erörtern ist, denn der versierte Mathematiker hat eine sehr eigentümliche Art des strukturierten und kritischen Denkens, steht dieser Gesellschaft gleichermaßen unaufgeregt wie unromantisch gegenüber.
In diesem Zusammenhang war es mehr als passend, daß wir den „Malerwinkl“ in Hatzendorf als unsere Mittagsstation ausgewählt hatten; bei Peter Troißinger, einem Wirt und Koch, darin ebenso unaufhaltsam wie als Künstler. Nicht bloß das ganze Haus ist davon geprägt, sondern auch die nähere Umgebung. Wie ist denn das nun mit der Kunst?
Im Kern also: symbolisches Denken. Diese Fähigkeit, Dinge zu denken, die es nicht gibt. Das, was unsere Spezies von anderen Arten so grundlegend unterscheidet. Es ist daher auch fragwürdig, an den Artefakten hängenzubleiben. Ein Beispiel: Was bedeutet es, wenn die letzten Farbpartikel von Dürers Feldhase (1502) aus dem Papier gefallen sein werden? Wir können ihn schon jetzt eigentlich nicht mehr sehen, weil er in Dunkelheit verwahrt wird, um genau das zu bremsen; sein Entschwinden unter der Einwirkung von Licht.
Andrerseits, Müller sagte zu mir: „Aber bleib doch mit deiner Arbeit nicht im Digitalen!“ Das habe nämlich keinen Bestand. Doch warum sollte mein Werk mich überdauern? Ich bin kein Dürer und kein Thomas Mann.
Was bedeutet das nun wieder? Arbeit an Rollenklärung. Als sich Jäger und Sammler vor Jahrtausenden aufrafften, am Göbekli Tepe eine fulminante Tempelanlage zu bauen, wohnten sie selbst noch in Höhlen. Sie schufen in einer kollektiven Anstrengung ein Werk, das sie alle nicht bloß um ein paar Generationen überdauerte. (Siehe dazu meinen Logbuch-Eintrag vom 25.4.2019!) Das ist eigentlich ein sehr beunruhigendes Ereignis. Weshalb haben sie Leute das gemacht?
Schließlich waren wir noch im Burgenland, um jene militärische Puch Ranger aus vergangenen Tagen abzuholen, die Müller zur Ergänzung seiner Kollektion gekauft hatte. Das war also, neben unseren Erörterungen von Fragen des Lebens und der Kunst, auch eine kleine Reise durch die Offroad-Geschiche der historischen Steyr-Daimler-Puch AG. Worum es bei all dem im Kern ging: die Handfertigkeit, die Alltagsbewältigung, die Transzendenz. In welche Zusammenhänge wollen wir das derzeit gestellt sehen?
— [Mythos Puch VI] [Tesserakt] —